Wie man mit Menschen redet, die an Verschwörungstheorien glauben - Spektrum der Wissenschaft
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Wie man mit Menschen redet, die an Verschwörungstheorien glauben
Kommunikation Verschwörungstheorien widerlegen, aber richtig
Verschwörungstheorien waren lange nur ein Thema unter vielen. Aber in Zeiten der Pandemie rücken sie mehr in den Vordergrund. Man unterhält sich über die Arbeit, das Wetter, Sportergebnisse und zack, zwei Sätze später: wirre, krude Thesen zur Covid-19-Impfung. Auf keinen Fall werde er oder sie sich impfen lassen, erklärt das Gegenüber. Es folgen diffuse Ausführungen zu vermeintlichen Langzeitfolgen wie Unfruchtbarkeit, zu vermeintlich zugedrückten Augen bei der Impfstoff-Zulassung oder zu viel wilderen vermeintlichen Zusammenhängen, von denen man selbst vielleicht noch nie gehört hat. Und ob es dieses Coronavirus überhaupt gebe, stehe ja schließlich noch mal auf einem ganz anderen Blatt. Man hört zu, erst überrascht, dann schockiert, wird immer stiller, und eine Frage drängt sich immer stärker in den Vordergrund: Was sage ich jetzt?
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Frage, wie man am besten mit Verschwörungstheoretikern umgeht. Sie hat dazu Sachbücher geschrieben und eine eigene Forschungs- und Informationsorganisation mitgegründet. Was rät sie? Unabhängig davon, ob es nun ums Impfen geht, ums Leugnen des Klimawandels oder um Echsenmenschen, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, sollte man sich vor einem Gespräch zunächst eines fragen, sagt Lamberty: Was ist mein Ziel? »Das ist eine unglaublich wichtige Frage. Will ich erreichen, dass mein Gegenüber seine Meinung ändert? Oder will ich vielleicht jemanden, der mit am Tisch sitzt, vor Falschinformationen schützen?« Man müsse dabei stets auch die Situation und die Konstellation abwägen, erklärt die Expertin: »Bei einem Kollegen, den ich einmal alle zwei Wochen sehe, habe ich einen viel geringeren Einfluss als bei meinem Bruder oder meiner besten Freundin.«
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Auch die Ressourcen spielen eine Rolle: Man kann nicht jeden Kampf führen. Zwar verspüre man oft den Drang, etwas Falsches nicht unkommentiert zu lassen, sagt Lamberty: »Aber wenn der Onkel falsche Informationen über Impfungen in der Whatsapp-Gruppe verbreitet, in der alle anderen Gruppenmitglieder schon geimpft sind und gefestigte Meinungen haben, kann man das auch einfach mal so stehen lassen.« Anders sei das, wenn auch die Oma in der Gruppe ist, die vielleicht noch Ängste und Zweifel hat. Da sei Gegenrede wichtig. »Es ist immer sinnvoll, sich den Einzelfall genau anzuschauen und dann zu entscheiden: Welches Ziel kann ich realistisch erreichen und lohnt sich der Einsatz?«
Wer das Gefühl vermittelt, überzeugen zu wollen, hat in persönlichen Gesprächen oft wenig Erfolg
Wer sich entscheidet, Kontra zu geben, steht vor der nächsten Herausforderung: Was sagen? Wie vorgehen? Tatsächlich gibt es mittlerweile einige Forschung, die sich damit auseinandergesetzt hat, welche Gesprächsführung den größten Erfolg verspricht. Ein 22-köpfiges internationales und interdisziplinäres Forschungsteam hat dazu eine wissenschaftlich fundierte Anleitung herausgegeben: das »Debunking Handbook«, zu Deutsch »Widerlegen, aber richtig«. Auf 19 Seiten skizzieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Best-Practice-Modell fürs Widerlegen von Falschinformationen. Der optimale Ablauf sei demnach: Erst den richtigen Fakt nennen, dann vor der Falschinformation warnen und sie einmal benennen, anschließend erklären, was daran falsch ist und zuletzt nochmal den richtigen Fakt wiederholen (siehe »Falschinformationen widerlegen in vier Schritten«).
Falschinformationen widerlegen in vier Schritten
1. Den richtigen Fakt benennen: Beginnen Sie mit dem richtigen Fakt, wenn er klar, knapp und einprägsam ist – machen Sie ihn einfach, konkret und plausibel. Er muss zur Geschichte »passen«.
2. Vor dem Irrglauben warnen: Warnen Sie vorab, dass nun eine Falschinformation folgt. Erwähnen Sie sie nur einmal.
3. Den Trugschluss aufdecken: Erklären Sie, wie die Falschinformation in die Irre führt.
4. Den Fakt noch einmal nennen: Bestätigen Sie am Ende den Fakt erneut – wenn möglich mehrfach. Stellen Sie sicher, dass er eine alternative ursächliche Erklärung liefert.
Quelle: Lewandowsky, S. et al.: The Debunking Handbook 2020
Nun mag dies zwar eine gute Strategie sein, um Falsches zu widerlegen – für Diskussionen mit Freunden oder Bekannten scheint sie jedoch eher unpraktisch. Wirkt ein so geführtes Gespräch nicht etwas schräg? Blockiert der Gesprächspartner dann nicht erst recht, wenn er gleich merkt, dass es nur darum geht, überzeugt zu werden? Und wer ist rhetorisch schon so schlagfertig, dass er immer gleich die falschen Aspekte ausfindig macht, den Ursprung des Irrglaubens kennt und noch den richtigen Fakt parat hat – am besten untermauert mit gut gemachten wissenschaftlichen Studien?
»Diese Struktur ist tatsächlich eher für die Kommunikation von Behörden gedacht. Wenn zum Beispiel eine Institution einen Info-Flyer plant oder eine Gemeinde einen Infotext schreibt. Oder auch, wenn in einem sozialen Netzwerk falsche Informationen kursieren und man das ausführlich einordnen möchte«, erklärt Philipp Schmid, der an der Universität Erfurt im Bereich Gesundheitskommunikation forscht. Schmid ist einer der Autoren des »Debunking Handbook«. »In solchen ›offiziellen‹ Kommunikationen ist der beschriebene Weg ideal«, sagt der Psychologe. »Aber im Vieraugengespräch wirkt das natürlich schnell künstlich.«
Wer seinem Gegenüber das Gefühl gibt, es lediglich überzeugen zu wollen, hat in einem Gespräch oft schlechte Karten. Ein solcher Eindruck entsteht schnell: Es ist ein gängiger Impuls, Äußerungen, die den eigenen Überzeugungen entgegenstehen, mit eigenen Fakten zu kontern. Behauptet zum Beispiel jemand, ein mRNA-Impfstoff würde das Erbgut verändern, möchte man schnell entgegnen: »Nein, das stimmt nicht. RNA und DNA haben verschiedene chemische Strukturen und deswegen kann der Körper RNA nicht einfach ins Erbgut einbauen.« Dem Gegenüber bleibt damit kein Raum, seine Befürchtungen zu äußern. Vielmehr muss der andere unmittelbar entscheiden, ob er die neue Position übernimmt – was eher unwahrscheinlich ist, da ein einzelner Satz nur sehr selten eine über Wochen, Monate oder gar Jahre aufgebaute Haltung umwälzt – oder abermals dagegenhält und seinen Standpunkt so weiter zementiert. Vielleicht bricht er das Gespräch auch ganz ab.
Die Perspektive wechseln
Das Browser-Spiel »Go Viral« dient dazu, einige der Strategien von Verschwörungstheoretikern und den Urhebern von Falschinformationen kennen zu lernen. Im Spiel übernimmt man die Rolle einer Figur und versucht, Online-Posts mit Falschinformationen so zu erstellen, dass sie möglichst viele Menschen erreichen und man möglichst viel Aufmerksamkeit, Reaktionen und Likes bekommt.
Nachfragen und Missverständnisse vermeiden
»Im ersten Schritt sollte man sich selbst ein bisschen zurücknehmen und mit offenen Fragen in das Gespräch starten«, rät Schmid. Was denkst du noch dazu? Worüber machst du dir Sorgen? »Solche Nachfragen ermöglichen, dass der andere ins Sprechen kommt. Seine Ansichten und das Weltbild kommen überhaupt mal auf den Tisch, und das ist die Voraussetzung dafür, dass man darüber sprechen kann.« Anschließend sei es wichtig, die geäußerten Ängste und Befürchtungen zu reflektieren. Das tut man, indem man wiederholt, was der andere gerade gesagt hat. Missverständnisse werden so vermieden. Dazu hält man dem anderen den Spiegel vor und zeigt ihm, wie das, was er oder sie da gerade gesagt hat, eigentlich von außen betrachtet klingt. »Das kann auch schon dazu führen, dass jemand feststellt, dass er das eigentlich gar nicht so extrem meint«, sagt Schmid. »Oftmals geht das Gespräch dann schon in eine ganz andere Richtung.«
Will man einer Äußerung schließlich seine eigene Ansicht entgegenstellen, sollte auch auch das gefühlvoll geschehen. Also nicht: »Das ist trotzdem totaler Unsinn, dass im Impfstoff Mikrochips stecken.« Besser: »Mhmm, hätte ich gelesen, was du gelesen hast, dann würde ich vielleicht ähnlich denken. Aber schau mal, ich habe zum Beispiel hier oder hier gelesen, dass das mit den Mikrochips zwar viele Menschen denken, dass das aber gar nicht stimmt.« So bleibt man auf derselben Gesprächsebene und stellt sich nicht über den anderen. Das schafft Vertrauen und gibt gesichtswahrend die Möglichkeit, neue Informationen in die eigenen Ansichten zu integrieren. Gemeinsame Wahrheitssuche statt konfrontativer Überzeugungsarbeit lautet hier das Stichwort.
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Psychologinnen und Psychologen nennen diese Art der Gesprächsführung auch »motivational interviewing« – motivierende Gesprächsführung. Die Technik wurde in den 1980er und 1990er Jahren von den US-Amerikanern William Miller und Stephen Rollnick entwickelt, zunächst für den Einsatz in der klinischen Psychologie. Das Ziel war, Patienten durch Gespräche dazu zu motivieren, ein bestimmtes schädliches Verhalten aufzugeben – etwa das Rauchen oder den Konsum von Alkohol oder anderen Drogen. Im Lauf der Jahre erkannten immer mehr Disziplinen die Vorzüge der Gesprächstechnik. Heute gibt es neben dem Einsatz in der klinischen Psychologie Anwendungsbeispiele für Lehrer, Eltern, Unternehmens- oder Sport-Coachings.
Rhetorische Tricks demaskieren
Die motivierende Gesprächsführung eignet sich gut, um in einem Vieraugengespräch mit einem Impfgegner oder einem Verschwörungstheoretiker die Stimmung freundlich zu halten und gleichzeitig den Raum zu schaffen, sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Doch weil die Situation sehr vertraulich ist – zwei Menschen reden hier über sehr persönliche Dinge miteinander – eignet sie sich weniger für das gemeinsame Abendessen beim Familientreffen. Kommen mehrere Leute zusammen, ist deswegen ein anderes Vorgehen vielversprechender.
»Wissenschaftsleugner, Klimawandelleugner, Leugner der Evolutionstheorie oder sonstige Verschwörungstheoretiker benutzen, wenn sie über ihre Sache reden, immer wieder dieselben fünf rhetorischen Techniken«, erklärt Philipp Schmid. Wobei Techniken fast schon zu positiv formuliert ist – Denkfehler oder Fehlschlüsse trifft es eher (siehe »Fünf rhetorische Techniken, die Wissenschaftsleugner und Verschwörungstheoretiker immer wieder einsetzen«). »Sitzt man mit vielen Leuten zusammen und kann keinen ausführlichen Dialog führen, kann man die jeweilige Technik demaskieren, um zu zeigen, was daran nicht stimmt.«
Fünf rhetorische Techniken, die Wissenschaftsleugner und Verschwörungstheoretiker immer wieder einsetzen
Verschwörungen herbeireden: Der wissenschaftliche Konsens wird als Ergebnis einer komplexen und geheimen Verschwörung hingestellt.
Falsche Experten benennen: Falsche Experten werden als Autoritäten zitiert, etablierte Experten verunglimpft.
Rosinenpickerei: Es wird auf einzelne Arbeiten verwiesen, die den wissenschaftlichen Konsens in Frage stellen.
Unmögliche Erwartungen wecken: Von wissenschaftlichen Ergebnissen wird eine 100-prozentige Sicherheit gefordert, von Gesundheitsbehandlungen keine möglichen Nebenwirkungen erwartet.
Auf Falschdarstellung und falsche Logik zurückgreifen: Es werden voreilige Schlussfolgerungen und falsche Analogien gezogen. Ein Beispiel für den naturalistischen Fehlschluss: Alles, was natürlich ist, ist gut.
Quellen: WHO-Handbuch: Best practice guidance – How to respond to vocal vaccine deniers in public.
Diethelm, P., McKee, M.: Denialism: What is it and how should scientists respond? European Journal of Public Health 19, 2009
Das Demaskieren mag nur bedingt dabei helfen, den Sprecher selbst dazu zu bewegen, seine Sichtweise noch einmal zu überdenken. Dafür weist es aber die Zuhörer auf die Denk- und Argumentationsfehler hin – und hilft ihnen, eine gewisse Portion Skepsis gegenüber dem zu entwickeln, was da gerade geäußert wurde.
Auch Pia Lamberty hält Demaskieren für ein sinnvolles Vorgehen. Es bringe sogar noch zwei weitere Vorteile: »Oft kommen die Leute mit den verschiedensten Details um die Ecke, von denen man noch nie gehört hat. Man kennt also selbst gar keine Fakten dazu und kann inhaltlich gar nichts entgegnen. Gerade bei Verschwörungserzählungen ist es oft so, dass man sie auch gar nicht überprüfen könnte, selbst wenn man es wollte«, sagt Lamberty. »Doch kennt man die Argumentationsstrategien, kann man damit eigentlich auf jede Verschwörungserzählung reagieren – egal, um welches Thema es geht.«
Und noch etwas Gutes bringt die Technik mit sich: »Wer die Strategien kennt, der wird dadurch immun gegen Falschinformationen, die mit ihnen übermittelt werden«, sagt Lamberty. »Deswegen würde ich es als noch gewinnbringender erachten, diese Strategien zu kennen.«
Hilfe für Betroffene und Angehörige
Die Arbeitskollegin äußert auf einmal seltsame Thesen im Büro oder der Onkel berichtet von der Weltverschwörung im Familien-Chat? Sie fühlen sich vielleicht selbst verunsichert und fragen sich, ob Sie Falschinformationen aufgesessen sind? Hier finden Betroffene sowie Angehörige von Verschwörungsgläubigen Unterstützung:
Veritas – Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen
ZEBRA-BW - Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen BW