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Wie emazipiert kann Sex sein?

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Sexdebatten auf allen Kanälen: Dank Alice Schwarzers Feldzug gegen die Prostitution denkt die Gesellschaft endlich darüber nach, wie politisch korrekt Sex sein soll.

Wenn man guten Sex in Silberpapier wickeln und mit einer roten Masche verschnüren könnte, würden sämtliche Geschenkratgeber obsolet und die Parfumerie- und Dessousabteilungen der Warenhäuser könnten ihr Weihnachtsgeschäft vergessen. Wenn man guten Sex herleiten könnte wie eine Formel in der Mathematik, dann wären die Bars abends leer und die meisten Ehetheratpeuten arbeitslos. Denn irgendeiner oder irgendeine hätte die Formel in den letzten paar Tausend Jahren garantiert entdeckt. Und alle geschlechtsreifen Menschen ohne Ausnahme hätten sie ausgiebig studiert und auswendig gelernt. So aber weiss die Menschheit auch im Jahr 2013 wenig über guten Sex ausser vielleicht dies: Dass er wohl vom Hirn mitgesteuert wird, sich aber nicht im Kopf allein verhandeln lässt. (Lesen Sie auch: «Der Sex im Kopf»)

Korrekter als das politische System

Deutlich beweist das die Diskussion, die zur Zeit im Rahmen der Prostitutionsdebatte sämtliche Medien beschäftigt und die letztlich die Frage aufwirft: Wie politisch korrekt muss – darf - soll Sex sein? Beziehungsweise: Wie gut kann politisch korrekter Sex sein? Wer die Voten von gestandenen Autorinnen und Autoren einschlägiger Zeitungen aufmerksam gelesen hat, der musste in den letzten Wochen feststellen, dass seit der sexuellen Revolution vielleicht das Spektrum der tolerierten sexuellen Praktiken erweitert worden ist, die normativen Grenzen jedoch kaum verrückt sind: Da taucht dei Vorstellung auf, es gäbe so etwas wie eine «richtige», wirklich «lohnende», weil vermisste Nähe stiftende Sexualität, wie von Bernd Ulrich in der «Zeit» formuliert. Es taucht das Konstrukt einer «verlorenen Unbefangenenheit» einer Alice Schwarzer auf, unter der Frauen leiden, die Sex gegen Geld tauschen. Auch wenn sie es freiwillig tun und nicht auf der Strasse. Das sind Denkmuster, die eine moralische Wertung bedingen und Sexualität mit seelischer Integrität koppeln. Denkmuster also, die eine Sexualität postulieren, welche politisch korrekter sein soll, als das System, das sie hervorgebracht hat: Nicht käuflich. (Lesen Sie auch: «Sex im Ghetto»)

Denn Sie wissen nicht, was ihnen gefällt

Das ist weit entfernt vom Postulat, das in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert wurde: Richtig ist, wozu die am Akt Beteiligten freiwillig einwilligen. Gut ist, was gefällt. Und fast ist man verleitet zu glauben, dass dieses Postulat heute schon an seiner Voraussetzung scheitert: Nämlich dass Frauen und Männer wissen, was ihnen gefällt. «Wir Männer», so klagt Arne Hofmann, «haben in den letzten Jahrzehnten von der feministischen Fraktion gelernt, dass wir unsere Liebste heute nicht mehr stürmisch erobern und auf die Laken werfen, sondern vor dem Sex mit ihr bis ins Kleinste aushandeln sollen, was und wie sie es denn gerne hätte.» Die Schattenseiten: Sex werde zu einem «zivilisierten, gezähmten, aber auch langweiligen Akt». An der Stelle von Habenwollen, Verlangen, Besitzergreifen oder lustvollem Unterwerfen gebe es Verständnis und Harmonie.

Ich habe Lust, aber ist die Lust, die ich empfinde nicht irgendwie falsch? So lautet das männliche Fragezeichen in der Erotik.

Das sehen Frauen gar nicht soviel anders: Der Mann, schrieb Nina Pauer in ihrem vielbeachteten Essay über die «Schmerzensmänner», sei irgendwann falsch abgebogen. Heute rede er statt zu baggern, er flirte indem er der Angebeteten so viel Verständnis schenke, dass die erotische Spannung ganz im sozialarbeiterischen Sinn auflöse: Gut haben wir darüber gesprochen. Nach fast einem halben Jahrhundert Emanzipation haben zwar Frauen durchaus auch mal die Hose an, doch darin ist es tot wie beim anderen Geschlecht. Und so denken Feministinnen derzeit laut über die Frage nach, ob sie das, was sie als lustvoll empfinden, nur deshalb als lustvoll empfinden, weil sie patriarchal geprägt sind. Die Britin Katherine Angel etwa konstatiert in ihrem Buch «Ungebändigt» : «Ihn ficken. Ich habe das Gefühl, das klingt nach einer Pose, nach Betrug. Eigentlich kann ich ihn ja gar nicht ficken, nicht so, wie er mich fickt. Eigentlich. Wenn ich das sage, stehe ich neben mir, ich habe das Gefühl, dass ich ein Spiel spiele. So tue, als würde ich eine Fussballmannschaft anfeuern, ein Bier in der Hand halten und ein rotes Shirt tragen, das mir nicht gehhört. Jaa! Los doch! Jaa!

Habe ich wirklich Lust, wenn ich Lust empfinde? Und ist das wirklich meine Lust? So lautet das weibliche Fragezeichen in der Erotik. (Lesen Sie auch: «Die perfekte Vagina»)

Kurz: Der Mann kann seine Lust wohl formulieren, aber nicht mehr ausleben. Die Frau dürfte ihre Sexualität zwar endlich ausleben, misstraut aber sowohl ihrer Lust, wie auch den Worten, mit denen sie sie formulieren könnte. Das sind schlechte Voraussetzungen für richtig guten (heterosexuellen) Sex. Und total politisch inkorrekt wünscht man sich, dass sowohl Mann als auch Frau sich wieder mal richtig um den Verstand vögeln.