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Was ist kosmopolitischer Lokalismus?

Octave Larmagnac-Matheron veröffentlicht am 13 Februar 2023 3 min

In den jüngsten Debatten um Ökologie taucht immer häufiger ein neuer Begriff auf: kosmopolitischer Lokalismus. Was verbirgt sich dahinter? Wir erläutern ein Konzept, das ein Gegenvorschlag zum „globalen Dorf" ist.

Wer die Logik des kosmopolitischen Lokalismus (auch: Kosmolokalismus) verstehen will, sollte sich das Problem vor Augen halten, dem der Begriff entgegenwirkt: Die wirtschaftliche Globalisierung enthält schädliche Auswirkungen und führt in ihrer kapitalistischen Version zu einer Homogenisierung der Kulturen und Gesellschaften. Diese kulturelle Angleichung, so die kosmolokalistische Kritik, geht mit einer Entfremdung zwischen menschlichen Gemeinschaften und der abstrakten internationalen Wirtschaftslogik einher. Letztere beruhe auf einer Arbeitsteilung und Güterproduktion, die von den tatsächlichen lokalen Bedürfnissen losgelöst ist und ein ungezügeltes Wachstum nährt. Dieses ist die Wurzel der ökologischen Krise.

Glokalisierung vs. Kosmopolitischer Lokalismus

Gegen diese Tendenzen schlägt der Soziologe Wolfgang Sachs in Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik (1993) eine Neuausrichtung der Entwicklungsfrage vor: eine Relokalisierung, eine Wiedereingliederung der wirtschaftlichen Dynamiken von Produktion und Konsum in die konkreten Probleme eines bestimmten Gebiets, in anderen Worten: eines Ortes. Von diesem Ort aus müsse man beginnen. Diese Neuausrichtung unterscheidet den kosmopolitischen Lokalismus von der Glokalisierung. Die Glokalisierung – die insbesondere von dem Soziologen Roland Robertson theoretisiert wurde –, hebt das gleichzeitige Auftreten sowohl universalisierender als auch partikularisierender Tendenzen in den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Systemen hervor. Dabei wird betont, dass die wachsende Bedeutung der kontinentalen und globalen Ebene mit einer wachsenden Bedeutung der lokalen und regionalen Ebene einhergehe.

Global und lokal werden somit gemeinsam gestaltet und durchdringen sich gegenseitig. Auf wirtschaftlicher Ebene geht die Entwicklung der Globalisierung gleichzeitig mit einer Anpassung der Produktionsmethoden und Waren an die lokalen Gesellschaften und Kulturen einher, in denen die Industrie- und Handelsaktivitäten angesiedelt sind. Inspiriert vom japanischen Konzept des „Dochakuka" – einer Kulturform, die sich den örtlichen Gegebenheiten anpasst – wurde die Idee weitgehend von den „Handels- und Managementstudien" übernommen. So sollte von der globalen Ebene, auf der bislang die meisten Produktionsentscheidungen getroffen werden, auf die lokale Ebene gewechselt werden. Diese Sichtweise umgeht jedoch die Frage nach den Machtverhältnissen, die sich zwischen beiden Ebenen abspielen.

Vom Lokalen zum Globalen

Der kosmopolitische Lokalismus geht dagegen, so könnte man sagen, umgekehrt vor: Er will das Globale durch eine Rückführung vom Lokalen aus konstruieren. Diese Umkehr ist zwingend notwendig, um zu verhindern, dass sich die Relokalisierung der menschlichen Aktivitäten zu einem konservativen, mitunter fremdenfeindlichen Isolationismus entwickelt. Der kosmopolitische Lokalismus versucht, den Reichtum eines Ortes zu vergrößern und gleichzeitig die Rechte einer facettenreichen Welt im Auge zu behalten. Er hege und pflege, so Sachs zusammenfassend, einen bestimmten Ort, doch gleichzeitig sei er sich der Relativität aller Orte bewusst.

Wie der Ingenieur Ezio Manzini in Design, When Everybody Designs: An Introduction to Design for Social Innovation (2015) erläutert, geht der kosmopolitische Lokalismus zwar von einem Ort aus, doch dieser kann vielmehr zum Knotenpunkt eines miteinander verbundenen Netzwerks von Orten werden. Es wird von den lokalen menschlichen Gemeinschaften ausgegangen, um zu überlegen, wie sie sich verbinden, organisieren und koordinieren lassen. Denn letztlich geht es darum, wie sie sich gegenseitig bereichern können, insbesondere im Rahmen von konzertierten Projekten, die alleine nicht zu bewältigen sind.

Sich die Produktion wieder aneignen

Die Vernetzung von Orten wird bereits in einzelnen Fragen aktiv umgesetzt. Es geht dabei insbesondere um eine Koordination mit anderen Orten, um die allgemeine Produktion an die tatsächlichen Bedürfnisse der miteinander verbundenen Gemeinschaften auszurichten. Auf diese Weise soll die bisherige Logik gebrochen werden, bei der die Produktion auf globaler Ebene stattfindet und sich lediglich am Rande an lokale Gegebenheiten anpasst. Denn dabei geht es meist nur darum, dasjenige besser vor Ort zu verkaufen, was auf oberster Ebene zu verkaufen beschlossen wurde.

Der kosmopolitische Lokalismus zeugt in diesem Sinne von dem erklärten Willen, sich die Produktionsentscheidungen und -mittel wieder anzueignen. Diese Wiederaneignung erfolgt im Zeitalter der Digitalisierung und des Internets insbesondere durch die Förderung von freiem Wissen, das beispielsweise einen leichteren Zugang zu Bauplänen ermöglicht. Wie Vasilis Kostakis, der Führer der kosmolokalistischen Bewegung in Griechenland, kürzlich in der französischen Zeitung Libération zusammenfasste, ähnelt sie einer „Aktualisierung des Marxismus mit Open-Source-Zutat". Ist dies die Verheißung einer nachhaltigen Lebensweise? •

Übersetzt von
Maximilian Kisters

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