US-Krisenprogramm : Die Biden-Revolution | tagesschau.de


US-Krisenprogramm Die Biden-Revolution

Stand: 28.03.2021 03:53 Uhr

Der neue US-Präsident krempelt sein Land um. Biden will vor allem weg von der Wirtschaftspolitik seiner Vorgänger. Er will mehr Staat, er will unten statt oben ansetzen. Das gefällt nicht allen.

Von Arthur Landwehr, ARD-Studio Washington

"Ich will einen totalen Paradigmenwechsel", sagte Joe Biden in dieser Woche bei seiner ersten Pressekonferenz. "Wir werden nicht mehr Vermögen fördern, sondern Arbeit." Ohne ihn beim Namen zu nennen, verspricht der neue amerikanische Präsident, das vom früheren Präsidenten Ronald Reagan geprägte Wirtschaftssystem und Gesellschaftsbild vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Arthur Landwehr ARD-Studio Washington

Vom ersten Tag seiner Regierung an nutzt Biden die vielleicht nur kurze Zeit der Mehrheit im Kongress zu einer leisen, professionellen und gleichzeitig hocheffizienten Revolution, besser zu einer Konterrevolution, die noch lange nicht beendet ist.

Reagan: Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung

"In einer Krise wie dieser ist der Staat keine Lösung. Im Gegenteil, der Staat ist das Problem". Diesen Kernsatz seiner Inaugurationsrede machte Reagan in den 1980er-Jahren zur Maxime seiner Politik und fuhr die Rolle des Staates in der amerikanischen Gesellschaft konsequent zurück, mit Folgen bis heute.

Staatlichen Organisationen, die 20 Jahre vor ihm Lyndon B. Johnson in seinem "Krieg gegen Armut" geschaffen oder gestärkt hatte, nahm Reagan systematisch die Mittel, zerschlug sie zum Teil: soziale Krankenversicherung, staatliche Rente, Arbeitslosenversicherung, Zuschüsse für Universitäten und vieles mehr. Gewerkschaften blieben auf der Strecke. Er wolle zu dem zurück, so Reagan damals, was das Innerste des Amerikanischen ausmache, die Sorge für sich selbst, das Recht und die Verpflichtung, das eigene Schicksal in der Hand zu halten.

Umverteilung von Vermögen und Einkommen

Nun also Joe Biden. Lange nicht mehr hat der US-Staat eine so starke und dominierende Rolle übernommen, die gesellschaftlichen Verhältnisse neu zu gestalten und dabei den Versuch zu machen, die Umverteilung von Vermögen und Einkommen herumzudrehen.

Reagans These vom "Trickle Down Effect" lehnt Biden ab. Er hält die Vorstellung für ungerecht und gescheitert, dass man Wohlhabende und Unternehmen finanziell entlasten müsse, damit sie investieren könnten. Dadurch entstünden Gewinne, die als Arbeitsplätze und höhere Löhne nach unten durchregnen.

Höhere Mindestlöhne, kostenlose Hochschulen und Kitas

Biden will dagegen unten ansetzen: Höhere Mindestlöhne machen Arbeit attraktiv. Kostenlose städtische Hochschulen (Community Colleges) machen Bildung erschwinglich. Kostenlose Kitas und Kindergärten ermöglichen Alleinstehenden zu arbeiten, und verlässliche Krankenversicherungen schaffen Sicherheit.

Finanzieren will er es ebenfalls, indem er die Steuerpolitik von Reagan und seinem Vorgänger Donald Trump umdreht. Die hatten die Steuern für hohe Einkommen und Unternehmen drastisch gesenkt und dies durch weniger Sozialleistungen und hohe Schulden abgefedert. Biden will es umgekehrt, nämlich einen Teil der Steuersenkungen zurücknehmen und damit seine sozialen Programme finanzieren. Schulden aber wird er ebenso machen.

"Plan zur Rettung Amerikas"

Das Corona-Hilfspaket in Höhe von 1,9 Billionen Dollar hat er schon durchbekommen, ohne eine einzige republikanische Stimme. Das zu diesem "Plan zur Rettung Amerikas" gehörende Narrativ kennt vor allem Corona-Hilfen, allen voran die 1400 Dollar Überweisungen an die meisten Bürger, um den Konsum nach der Covid-Krise anzukurbeln. Dann die erweiterte Arbeitslosenhilfe und Hilfsprogramme für notleidende kleine und mittlere Unternehmen.

Tatsächlich macht das aber nur einen kleinen Teil des Pakets aus. Das meiste Geld geht bereits in Programme, mit denen der Staat Aufgaben und Verantwortung übernimmt, die er nach bisheriger Ideologie niemals haben sollte. Wenn diese in ein paar Wochen angelaufen sind, werden Menschen mit sehr niedrigen Einkommen 20 Prozent mehr in der Tasche haben, soll sich die Zahl der Kinder unter der Armutsgrenze halbieren.

Zu viele Schulden, zu wenig Eigenverantwortung

Biden schlägt Widerstand entgegen, auch aus der eigenen Partei. Er verschwende gewaltige Summen, die die Schulden unverantwortlich in die Höhe trieben und den Haushalt des Landes kollabieren lasse, lautet ein Vorwurf. Auf der ideologischen Seite halten seine Gegner dieses Programm für "unamerikanisch", weil es an die Stelle von Eigenverantwortung der Menschen einen Fürsorgestaat setze. Die Folge würden Lähmung und mangelnde Initiative sein, ein sozialistisches System, in dem der Staat alles regele. Unternehmen und kreative, risikobereite Menschen aber erstickten.

Bidens Politik von liberaleren Einwanderungsregeln und schärferer Kontrolle für Waffenbesitzer passe in dieses Bild einer Regierung, die das Ziel habe, die verfassungsmäßig garantierte Freiheit jedes einzelnen Amerikaners durch einen staatlichen Stacheldraht aus Regeln, Vorschriften und Kontrollen zu zerstören.

Fünf Billionen Dollar für das Biden-Amerika

"Sozialistisch" ist im politischen Diskurs der USA meist ein Killerbegriff, der dazu dient, den politischen Gegner zu verunglimpfen. Bidens mit zahlreichen schnellen präsidialen Anordnungen und ersten Gesetzesinitiativen auf den Weg gebrachten Programme haben aus europäischer Sicht allerdings mehr den Charakter gemäßigter sozialdemokratischer Politik.

Biden ist aber noch längst nicht fertig, agiert nach der Maxime, dass man niemals eine Krise vergeuden dürfe. In der Bevölkerung nämlich kommt nach einem Jahr Pandemie seine Politik des Geldausgebens bestens an und er wird in dieser Woche gleich noch ein drei Billionen Dollar teures Infrastrukturprogramm vorstellen. Bleibt es bei der Summe, nimmt er insgesamt fünf Billionen Dollar geliehenen Geldes in die Hand, um das Biden-Amerika zu schaffen. Zum Vergleich: Das sind etwa zehnmal so viel wie der gesamte Bundeshaushalt in Deutschland.

Vordergründig geht es dabei darum, marode Brücken und Straßen zu sanieren, die desolaten und völlig veralteten Netze für Strom, Gas und Wasser zu modernisieren oder schnelles Internet für alle zu finanzieren. Tatsächlich steckt darin das Geld für den Umbau zu einem klimafreundlichen Energiesystem, weitere Finanzierungen für Bildung, Gesundheitswesen und Sozialleistungen. Eine "soziale Infrastruktur" nennt Biden das. Und auch hier übernimmt in Bidens Vorstellung wieder der Staat die Initiative und bestimmt die Agenda, nicht der Markt.

Vorbilder: Lyndon B. Johnson und Franklin D. Roosevelt

Biden hatte sich vor ein paar Wochen mit Historikern im Weißen Haus getroffen, das wurde nachträglich bekannt. Über mehrere Stunden habe er danach gefragt, wie frühere Präsidenten ihre Rolle genutzt hätten, dem Land ihren Stempel aufzudrücken und die Gesellschaft neu zu prägen.

Zwei hätten es ihm besonders angetan: Einmal Lyndon B. Johnson, der neben den staatlichen sozialen Einrichtungen auch das Gleichberechtigungsgesetz durchsetzen konnte. Zu seiner Zeit drohte der gesellschaftliche Zusammenhalt im Kampf um eine neuen Werteordnung zu zerbrechen.

Und dann Franklin D. Roosevelt, der während der großen Depression mit dem "New Deal", also gewaltigen staatlichen Ausgaben auf Pump, das Land aus einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen geführt hatte. Staatliche Investitionen und Hilfen sorgten damals für Arbeitsplätze und Sicherheit, bis die Wirtschaft wieder angesprungen war.

Beide Präsidenten auf ihre Art revolutionär, weil sie für ewig gehaltene Traditionen und Vorstellungen über die USA aufbrachen und das Land in eine andere Richtung führten. An diesen beiden scheint sich der neue Präsident in seiner Krise zu orientieren.

Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. März 2021 um 23:28 Uhr.