US-Inflation: Corona ist nicht der einzige Preistreiber | ZEIT ONLINE
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Fünf vor acht / US-InflationCorona ist nicht der einzige Preistreiber
Corona ist nicht der einzige Preistreiber – Seite 1
Es war ein Schock, keine Frage. Die Inflation in den USA ist so hoch wie in 40 Jahren nicht. Im Januar sind die Preise gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,5 Prozent gestiegen, verlautete der Bericht des US-Arbeitsministeriums vergangene Woche. Als die Preise zuletzt derart anzogen, schrieb man das Jahr 1982. Olivia Newton-John trällerte Physical, der spätere Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, war als Conan der Barbar im Kino zu sehen und der einstige Westernheld Ronald Reagan saß im Weißen Haus. Heute gibt es kaum einen Lebensbereich, in dem sich die Teuerung in den USA nicht bemerkbar macht. Wer etwa eine Party zum Football-Großereignis Super Bowl am Sonntag gab, musste einiges mehr springen lassen. Die Hühnerflügel für die Chicken Wings kosten 12 Prozent mehr als zum Super Bowl 2021, das Hackfleisch für Chili con Carne kostet 13 Prozent mehr, und wer seine Gäste mit Steak verwöhnen will, zahlt 21 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Die Gründe, die für den Anstieg genannt werden, lauten fast immer gleich. Globale Engpässe, weil in den Lieferländern Covid zu Lockdowns führt, oder weil es zu wenig Schiffe, Hafenarbeiter, Lkw-Fahrer gibt und der Transport schwieriger und aufwendiger wird. Nicht zu vergessen die höheren Löhne, die Arbeitnehmer zuletzt durchsetzen konnten. Man denke nur an die wochenlangen Streiks beim Landwirtschaftsmaschinenbauer John Deere und beim Cerealienhersteller Kellogg's, durch die die Beschäftigten bessere Bedingungen herausholten.
Auch die Regierung sei mit schuld, heißt es vor allem von konservativen Ökonomen und Politikerinnen, weil die großzügigen Corona-Hilfen die Konsumnachfrage zu stark angetrieben hätten. Letzteres verbreitet unter anderem Lawrence Summers, der einst Finanzminister von Bill Clinton war und sich seither immer wieder – bisher vergeblich – als US-Notenbankchef ins Spiel bringt. Summers lag tatsächlich richtig, als er vor einem Jahr warnte, die Inflation werde nicht "vorübergehend" sein, wie es nicht nur die Chefs der Federal Reserve sowie der EZB beruhigend behaupteten, sondern auch die Regierung in Washington. Inzwischen wird es gefährlich für Summers Parteifreund Biden. In einer CNN-Umfrage sagten sechs von zehn US-Amerikanern, Biden habe seit seiner Wahl vor einem Jahr nichts für sie getan. Die Stimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher im Land ist so tief wie seit zehn Jahren nicht mehr.
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Biden und seine Verbündeten wie die Senatorin Elizabeth Warren haben andere Schuldige ausgemacht: die Unternehmen. Weil in den USA zu wenig Wettbewerb herrsche, könnten die Unternehmen die Verknappung durch die Pandemie nutzen, um Wucher zu betreiben. Summers und andere Ökonomen halten das für ein Ablenkungsmanöver. Wer mangelnden Wettbewerb für die Inflation verantwortlich mache, leugne die Wissenschaft, erklärte Summers auf Twitter.
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Unternehmen nutzen die Lage, um Kasse zu machen
Nun mag es nicht der Schulbuchlehre entsprechen, doch es gibt durchaus Hinweise darauf, dass Unternehmen die derzeitige Lage nutzen, um kräftig Kasse zu machen. Die Hinweise kommen von den Unternehmen selbst. Ausgegraben hat sie Lindsey Owens vom linken Thinktank Groundwork Collaborative. Sie hat sich die Mühe gemacht, den jüngsten Earnings Calls zu lauschen. Das sind die Konferenzschalten, in denen die CEOs und Finanzchefs von börsennotierten Unternehmen Aktienanalysten der Wall Street ihre vierteljährlichen Geschäftsergebnisse erläutern. Dabei hörte Owens etwa, wie der Finanzchef des 3M Konzerns, der unter anderem FFP2-Masken herstellt, seine Mitarbeiter für einen "wunderbaren Job" lobte, weil es ihnen gelungen sei, die Preise für die Produkte des Unternehmens erst um 0,1, dann um 1,4 und schließlich um bis zu 2,6 Prozent zu erhöhen.
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Bei der Analystenkonferenz von Kimberly Clark, unter anderem Hersteller von Huggies-Windeln, berichtete der CEO über mehrere Runden von "deutlichen Preiserhöhungen" und versprach den Investoren weitere Erhöhungen im laufenden Jahr. Windeln waren bereits vor der Pandemie so teuer, dass nach Angaben des National Diaper Bank Network, einem Verein, der kostenlos Windeln verteilt, sich eine von drei US-Familien nicht ausreichend genug davon leisten kann. Zu den Sponsoren des Vereins gehört pikanterweise auch Huggies.
Die Fastfoodkette McDonald's klagte vor zwei Wochen über die höheren Kosten, besonders auch durch die Löhne, und erklärte, man sehe sich deshalb gezwungen, die Preise für seinen Big Mac und McNuggets um rund sechs Prozent anzuheben. Gleichzeitig meldete die Burgerkette, der Umsatz sei im Pandemiejahr 2021 auf 23 Milliarden Dollar gestiegen. Der Gewinn lag mit 7,5 Milliarden Dollar um 59 Prozent über dem Vorjahr. Und es sind nicht nur einzelne Unternehmen, die die Gunst der Stunde nutzen. Bei einer Umfrage unter kleinen und mittelständischen Unternehmen gaben 56 Prozent an, die Preis stärker angehoben zu haben als notwendig, um die höheren Kosten zu decken, wie die Entrepreneurwebseite Digital.com berichtete. Das Resultat: Die Gewinnmargen der US-Unternehmen erreichten vergangenes Jahr zeitweilig den höchsten Stand seit den Fünfzigerjahren.
Das erklärt auch, warum die Wall Street bisher noch kein ernstes Problem sieht: "Wir suchen nach Unternehmen, die genügend Marktmacht haben, ihre Preise anziehen zu können", erklärte ein Investmentmanager den Reportern der Finanzseite Bloomberg." In einem inflationären Umfeld sei dies ein sich selbst erneuerndes Geschenk. Der Grund: Die Unternehmen könnten während des Inflationsanstiegs die Kosten auf die Kunden abwälzen, müssten aber die Preiserhöhungen nicht notwendigerweise zurücknehmen, wenn die Inflation wieder nachlässt.
Joe Bidens Versprechen bringen kaum Vertrauen
Dazu dürfte etwa Tyson Foods gehören. Die Aktien des führenden Fleischerzeugers erreichten vergangene Woche ein Allzeithoch, nachdem Tyson höhere Umsätze dank höherer Preise gemeldet hatte. Nun könnte man einwenden, dies sei Teil einer funktionierenden Marktwirtschaft: Die höheren Preise locken neue Wettbewerber in den Markt, das wiederum sorgt für ein größeres Angebot und die Preise sinken wieder. Darüber hinaus gibt es neue Jobs. Doch in Wirklichkeit herrschen in vielen Sektoren der Wirtschaft monopolistische Strukturen. Neue Konkurrenten kommen nur schwer dagegen an. So hat Tyson inzwischen nur drei vergleichbare Konkurrenten: JBS, Cargill, National Beef. Nach Aufkäufen kleinerer lokaler Betriebe seit den Achtzigerjahren stellen sie inzwischen 85 Prozent des Fleischmarktes. Züchtern bleibt kaum etwas anderes übrig, als an die Big Four zu verkaufen, schließlich lassen sich Schweine und Rinder nicht beliebig durchs Land zum Schlachter schicken. Das erklärt, warum die Rancher klagen, von den höheren Fleischpreisen komme kaum etwas bei ihnen an, während sie selbst unter höheren Kosten, etwa für Futter und Sprit, leiden.
Fünf vor acht
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Präsident Biden hat Abhilfe versprochen, er will lokale Schlacht-Start-ups mit einer Milliarde Dollar unterstützen. Das sei, als drücke man der Suchmaschine Ask Jeeves eine Milliarde in die Hand und wünsche viel Glück im Wettkampf mit Google, ätzte jüngst Austin Frerick, Professor für Wettbewerb und Märkte an der Yale University. (Google-Konkurrent Ask Jeeves, an den sich kaum noch jemand erinnert, stellte 2010 die Suchmaschinenfunktion ein.)
Trotz aller Rhetorik aus dem Weißen Haus: Von einem Trustbuster wie einst Teddy Roosevelt, der dafür sorgte, dass Rockefellers Standard Oil zerlegt wurde, ist Biden weit entfernt.