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Tödliches Heilmittel: Wie Zwangssparen die Gesundheit ruiniert
Eine brisante These stellen David Stuckler und Sanjay Basu in ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch auf: Das Allheilmittel des IWF, die rigorose Sparpolitik, nützt der Wirtschaft nichts, aber sie richtet verheerende Schäden bei der Volksgesundheit an. Genau die Leute, die am wenigsten für die Wirtschaftskrise können, haben am schwersten unter ihr zu leiden. Viele sterben sogar daran.
Die Sterblichkeit von Säuglingen wächst um beinahe die Hälfte, die Zahl der HIV-Infektionen steigt sprunghaft an, Krebskranke können nicht operiert werden: Griechenland leidet entsetzlich unter den Folgen der harten Sparpolitik, die ihm von der «Troika», der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, als Vorbedingung für Milliardenkredite aufgezwungen wurde. Als Teil dieser Sparpolitik werden staatliche Leistungen im Gesundheitsbereich gekürzt und Präventionsprogramme gestrichen. Gerade letzteres kann fatale Auswirkungen zeitigen: Weil Prostituierte und Drogenabhängige keine Kondome und Spritzen mehr gratis erhalten, steigt die Zahl der HIV-Infektionen - mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit aller. Streichungen bei der Insektenbekämpfung trieben erstmals seit Anfang der 1970-er Jahren die Zahl der Malariaerkrankungen wieder in die Höhe. Apotheken gehen pleite, weil weder die Patienten noch die Krankenkassen Geld haben, um die teuren Medikamente zu bezahlen. Und schlimmer noch: Es kommen 19 Prozent mehr Kinder mit geringen Geburtsgewicht zur Welt, 20 Prozent mehr Babys werden tot geboren und 43 Prozent mehr Kinder sterben als Säugling.
Zwei Forscher, der Soziologe David Stuckler von der Oxford University in Grossbritannien und der Epidemiologe Sanjay Basu von der Stanford University in den USA, haben untersucht, welche Auswirkungen Wirtschaftskrisen auf die Gesundheit haben. Was sie herausfanden, war alarmierend: Nicht die Krise an sich beeinträchtigt das körperliche Wohlergehen, sondern die Art, wie die Krise bewältigt wird. Im Zentrum ihrer Kritik steht der Internationale Währungsfonds (IWF): Wer ihn um Hilfe bittet, erhält ein todbringendes «Heilmittel» namens «Austerität». Austerität bedeutet: Ausgaben senken und Einnahmen erhöhen, in der Praxis aber vor allem Ausgaben senken, koste es was es wolle. Damit lassen sich zwar Schulden abbauen, aber nicht die Wirtschaft ankurbeln. Die Folge von Austeritätsprogrammen sind Stagnation, Arbeitslosigkeit und, wie nun offenbar wird, Krankheit und Tod.
Dass Staaten ohne Austeritätsmassnahmen aus der Krise kommen können, zeigen die Forscher am Beispiel von Malaysia und Island. Malaysia hatte sich nach der Asienkrise von 1997 den Bedingungen des IWF widersetzt und kam hinsichtlich seiner Volksgesundheit ungeschoren aus der Krise. Ebenso Island, das in zwei Volksabstimmungen 2011 und 2012 das Austeritätsprogramm des IWF verwarf und auf eine Priorisierung der Wirtschaftsförderung gegenüber dem Schuldenabbau setzte. Ähnliches fanden die Forscher auch bei der Untersuchung von Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion (1991) hervorgegangen waren: Staaten, die auf Austerität setzten, setzten ihre Bevölkerung erheblichen Gesundheitsrisiken aus, die anderen nicht.
Das Buch «The Body Economic» des Forscherduos David Stuckler und Sanjay Basu erschien im Mai 2013, nun ist auch die deutsche Übersetzung unter dem Titel «Sparprogramme töten - Die Ökonomisierung der Gesundheit» im Handel. Ohne Beteiligung der beiden Buchautoren erschien im Februar 2014 ein Artikel in der britischen Medizinzeitschrift «Lancet» unter dem Titel: «Greece's health crisis: from austerity to denialsim». Die Autoren dieses Artikels bestätigen die Befunde von Stuckler und Basu, und stellen fest, dass das Gesundheitssystem Griechenlands just in dem Moment durch die Austerität in seinem Funktionieren eingeschränkt wurde, als es am dringendsten gebraucht wurde. Sie weisen darauf hin, dass allen Verantwortlichen, sowohl in der EU als auch in Griechenland, die gravierenden Auswirkungen der Sparprogramme bekannt sind, dass man sich aber bis heute beharrlich weigert, dieses Wissen in Taten umzumünzen.