Selbsttest: Das passiert WIRKLICH, wenn man sich als Frau zwei Wochen lang wie ein Mann benimmt | GLAMOUR


Raum einnehmen

Selbsttest: Das passiert WIRKLICH, wenn man sich als Frau zwei Wochen lang wie ein Mann benimmt

Wie viel mehr Raum als Frauen nehmen Männer im Alltag wirklich ein? Unsere Autorin hat zwei Wochen lang das Verhalten von Männern als Selbsttest nachgeahmt. Warum das jede Frau etwas angeht, lest ihr hier
12. Juli 2023
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    Raum einnehmen "like a man": Das passiert, wenn man sich als Frau zwei Wochen lang wie ein Mann benimmt

    "Meine Freundin hat dir eben mehrfach sehr freundlich gesagt, dass wir lieber alleine wären. Ich bin nicht so nett und sage dir, dass du gehen sollst." Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, bekomme ich das Gefühl, dass das der Moment ist. Der Moment, in dem mir zum ersten Mal ein Mann eine verpasst.

    Denn jetzt sagt der Typ, der meine Freundin und mich an der Bar angequatscht hat, nichts mehr. Stattdessen starrt er mich an. Greift langsam zu seinem Bier, nimmt einen Schluck und zieht die Flüssigkeit hörbar mit angespannter Kiefermuskulatur zwischen seinen Zähnen hindurch. Dabei weicht sein Blick nicht von mir. Obwohl er mir eine Scheißangst einjagt, weiche ich nicht zurück und halte seinem Blick stand, bis er schließlich geht.

    Zwei Wochen lang habe ich aktiv das Verhalten von Männern gespiegelt, weil ich wissen wollte, wie viel mehr Raum sie im Alltag einnehmen. Außerdem wollte ich herausfinden, wie oft ich mich zurücknehme, mich kleinmache, ausweiche und dabei der Frage nachgehen, wie viel davon bewusst und wie viel unbewusst passiert.

    Mein Fazit lest im am Ende des Textes – nur so viel schon an dieser Stelle: Dieser Selbsttest geht jede Frau etwas an!

    Als Frau mehr Raum einnehmen: Männer und Frauen gehen mit einem anderen Selbstverständnis durchs Leben

    Die Idee zu meinem Selbsttest kam mir, nachdem ich einen fragwürdigen Kommentar in Bezug auf mein Dating-Leben erhalten habe. Jemand gab mir den Rat, dass ich gegenüber Männern weicher und einladender werden müsste. Angeblich wäre ich zu hart nach außen, was abschreckend wirken würde. Mehr lächeln und dadurch weniger in die männliche Komfortzone eindringen, soll also die Lösung sein.

    Lächeln, wenn einem gar nicht danach ist, sich entschuldigen, wenn es nichts zu entschuldigen gibt, körperlich möglichst wenig Raum einnehmen, auch wenn man sich lieber breit machen würde: All das sind Verhaltensweisen, die vielen Mädchen auch heute noch beigebracht werden. Um ein Unangenehm-Auffallen um jeden Preis zu vermeiden – auch in Situationen, die für sie bereits unangenehm sind.

    Und obwohl mir Menschen immer wieder sagen, dass ich selbstbewusst oder "forsch" wirken würde, weiß ich, dass auch ich immer wieder meine Grenzen verrücke, um es anderen, vor allem Männern, recht zu machen. Weil ich als Frau so sozialisiert wurde. Ebenso wie Jungs dazu sozialisiert werden, Raum einzufordern.

    Lächeln, sich entschuldigen, körperlich möglichst wenig Raum einnehmen: All das sind Verhaltensweisen, die vielen Mädchen auch heute noch beigebracht werden.

    Dass Männer und Frauen mit einem anderen Selbstverständnis durchs Leben gehen, ist mir natürlich schon länger bewusst gewesen. Wer regelmäßig Bahn fährt, ist mit "Manspreadern" bekannt, Männern, die breitbeinig sitzen, damit ihr Gemächt es bequem hat. Egal, wenn andere Mitfahrende dafür stehen müssen.

    Doch es ist nicht nur das Beinespreizen, es sind auch Gesten wie das nach vorne gebeugte Sitzen, das Arme hinter dem Kopf verschränken oder – mein persönlicher Favorit – das Urinieren in der Öffentlichkeit, die absolute Dominanz zum Ausdruck bringen.

    Während ich in den zwei Wochen versucht habe, es diesen Männern gleichzutun, bin ich an einer Sache gescheitert: Ich habe es nicht über mich gebracht, mich an eine Hausecke zu hocken, meine Genitalien zu entblößen und vor Passanten zu pinkeln. Selbst wenn ich dieses Privileg hätte, würde ich das aus Respekt vor meinen Mitmenschen nicht tun.

    Eine Männer-Domäne: Körperliche Dominanz und Grenzüberschreitungen

    Wie unterschiedlich Männer und Frauen Raum beanspruchen, ist mir darüber hinaus wieder mal auf offener Straße bewusst geworden. Eine Bekannte hatte mir erzählt, dass sie damit aufgehört hätte, Männern auszuweichen und es seitdem immer wieder zu Zusammenstößen kommen würde.

    Diese Erfahrung kann ich bestätigen: Während mir die allermeisten Frauen Platz gemacht haben, bin ich mehrfach in Männer gelaufen, die nicht einmal Anstalten gemacht haben zur Seite zu gehen. Die Reaktionen darauf reichten von irritierten Blicken, über Entschuldigungen bis hin zu Beleidigungen. Bewusst mit jemandem zusammenzuprallen, hat das erste Mal noch Überwindung gekostet. Danach habe ich mit der Schulter extra nachgeholfen. Die Wut stieg von Tag zu Tag.

    Je mehr ich mich mit der Thematik beschäftigt habe, desto mehr Bereiche sind mir bewusst geworden, in denen Männer selbstverständlich mehr Raum einfordern, ihren Bedürfnissen nachgehen und Frauen als Care-Takerinnen, wenn es sein muss, dafür zurückstecken. Sei es im Job, der Partnerschaft, beim Sex oder in der Bahn. Dazu kommt das permanente Eindringen in den persönlichen Raum.

    In den zwei Wochen hat mich beispielsweise ein Typ beim Einkaufen gefragt, ob er meine Tattoos anfassen dürfe. Normalerweise hätte ich vermutlich gar nichts gesagt oder wäre mit einem gezwungenen Lächeln der Situation entkommen. Dieses Mal war meine Antwort "Nein, du darfst mich nicht anfassen". Die Gegenreaktion war ein passiv-aggressives "Man wird ja wohl noch fragen dürfen". Nein, verdammt nochmal, wird man nicht.

    Eine weitere grenzwertige Erfahrung habe ich ein paar Tage später erlebt. Nach einem Abend bei Freund:innen kam ich nachts spät heim und fand auf der Auffahrt vor meinem Haus eine Gruppe Männer vor, die dort Bier trank. Vier der Männer folgten mir durch die Tür, bis in den Innenhof.

    Mein natürlicher Impuls war zunächst möglichst schnell zu meiner Wohnungstür zu laufen. In dieser Nacht war ich es aber so leid, dass ich die Typen zur Rede stellte. Sie versicherten mir, dass sie eine Hinterhoftour machen würden. Ich versicherte ihnen, dass ich die Polizei rufen würde, wenn sie nicht sofort verschwinden. Keinem der Männer kam der Gedanke, dass es völlig unangebracht ist, einer Frau, die alleine nach Hause kommt, hinterher zusteigen.

    Ich bin mir sicher, dass vielen Männern nicht bewusst ist, dass sie durch ihre Körpersprache und ihr Gebaren immer wieder Grenzen überschreiten

    Ich bin mir sicher, dass vielen Männern bis zu einem gewissen Grad gar nicht bewusst ist, dass sie durch ihre Körpersprache und ihr Gebaren immer wieder Grenzen überschreiten und sei es "nur", dass sie unangenehm auffallen durch ihre permanente körperliche Überpräsenz. Das rechtfertigt jedoch nicht dieses Maß an Empathielosigkeit.

    Mein Fazit nach 2 Wochen Selbsttest

    Interessanterweise war es den meisten Männern sogar unangenehm, wenn ich beispielsweise in der Bahn so breitbeinig saß, dass es zu Körperkontakt kam. Viele haben sich entweder weggesetzt oder ihre Beine wiederum geschlossen.

    Es ist eben nicht so schön, wenn einem eine fremde Person so nahekommt. Wie toll wäre es also, wenn wir alle den persönlichen Raum unseres Gegenübers respektieren würden? Das würde natürlich voraussetzen, dass Männer lernen, sich zurückzunehmen und Frauen anfangen, mehr Raum einzunehmen.

    Und zwar in jedem Bereich des Lebens. Wir müssen nicht lächeln, wenn uns nicht danach ist, wir müssen uns auch nicht entschuldigen, wenn sich andere daneben benehmen und wir müssen nicht ausweichen, wenn man uns keinen Platz macht. Das hat nichts mit Härte zu tun, sondern schlicht mit den gleichen Rechten für alle.