RiffReporter: Die lebende Haut der Erde im Klimastress
Published by The Internett,
Die Haut der Erde im Klimastress
Auch unser Planet hat eine Schutzhülle - und sie lebt. Steigende Temperaturen und die Landwirtschaft setzen ihr jetzt zu. Das gefährdet unsere Versorgung und macht krank.
Leicht zu sehen ist sie für Laien zwar nicht, essenziell ist sie aber für uns alle: die lebende Haut der Erde. Sie besteht aus Biologischen Bodenkrusten, komplexen Lebensgemeinschaften in Wüsten und anderen Trockengebieten mit Mikroben, Moosen und kleineren Tieren. So unauffällig sie aussehen, so überragend ist ihre Bedeutung als Nährstofflieferant, Wasserspeicher und Schutzschicht für die Ökosysteme. Jetzt schlagen die Klimakrise und Landwirtschaft aber tiefe Wunden.
Haboobs sind Staubstürme. Es ist ein arabischer Name für ein Phänomen, das vor knapp einem Jahrhundert den Mittleren Westen als Plage biblischen Ausmaßes heimsuchte. Es war die schlimmste menschengemachte Umweltkatastrophe der USA. Sie entwickelte sich mit einem Vorlauf von mehreren Jahrzehnten. Die Great Plains sind ein breiter Korridor östlich der Rocky Mountains und erstrecken sich von Mexiko bis Kanada. Das Land ist karg und trocken, natürlicherweise nur von einer robusten Pflanzengemeinschaft bedeckt. In erster Linie sind dies die Präriegräser, deren dichtes Wurzelwerk den Boden stabilisiert.
Zwar war der amerikanischen Regierung bekannt, dass diese Ebenen kein Ackerland waren. Ein Auskommen konnten sie höchstens großen Farmen mit komplexen Bewässerungssystemen bieten. Kleine Familienbetriebe ohne ausreichendes Kapital hatten dagege keine echte Chance . Dennoch wurde das Land bis in die 1930er-Jahre intensiv als „Nil der Neuen Welt" beworben und kostenlos an Siedler vergeben. Es müsse nur „mit dem Pflug gekitzelt" werden, um seine Produktivität zu entfalten, hieß es. Ein Slogan, den auch die Eisenbahngesellschaften aufgriffen, deren neue Schienennetze sich bezahlt machen sollten.
Apokalypse statt Niederschlag
Etwa ein Drittel der Great Plains wurde zu Grasland und Viehweiden umgewandelt, also tief mit Pferd und Pflug umgegraben. Das zerstörte den ursprünglichen Bewuchs mitsamt den Wurzeln. Ein weiteres Versprechen der Regierung war, dass dem Pflug der Regen folgen würde. Doch was hier folgte, war die Apokalypse der Dust Bowl. Die ungeschützte Erde wurde trockener und heißer, war Dürre und Erosion ausgesetzt. Und das Wasser blieb aus: Normalerweise trägt ein Höhenwind Wolken und Regen in den Mittleren Westen. Infolge eines seltenen Wetterphänomens kehrte sich der Jet Stream aber um.
Ohne Niederschlag verdorrte die Ernte und gewaltige Staubwolken türmten sich kilometerhoch auf. Allein im Jahr 1933 fegten mehr als 50Haboobs, die wie schwarze Felswände aufragten, über das Land hinweg. Aufnahmen aus der Zeit zeigen Häuser und Höfe, die unter einer Flut aus Staub und Erde begraben sind. Der Autor Timothy Egan berichtet in seinem preisgekrönten Buch The Worst Hard Time von den feinen Körnchen in der Luft, die die Sonne blutrot erscheinen ließen und eine verheerende Wirkung entfalteten: Sie schmirgelten die Haut ab, erstickten das Vieh und ließen Kinder an Lungenentzündung erkranken .
Hunger, Krankheit und Tod
Bis nach Chicago am anderen Ende des Landes und in die weit entfernte Hauptstadt Washington wurde der Staub aus den Great Plains getragen. Der 14. April 1935, der sogenannte Schwarze Sonntag, brachte dann den schlimmsten aller Haboobs. Laut Egan wirbelte an einem einzigen Nachmittag doppelt so viel Staub über das Land wie in sieben Jahren für den Panamakanal ausgegraben worden war. Für die meisten Farmer gab es im Mittleren Westen kein Auskommen mehr. Die Fotografin Dorothea Lange ist noch heute berühmt für ihre Porträts der verhärmten und ausgemergelten Migranten und ihrer zerlumpten Kinder, die an die Westküste zogen.
Wie die Familie Joad in John Steinbecks Früchte des Zorns glaubten sie ihrer Regierung, die Arbeit in den großen Städten Kaliforniens und anderswo verhieß. Doch auch dieses Versprechen erfüllte sich – nicht zuletzt wegen der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre – nicht. Wer in der Dust Bowl des Mittleren Westens blieb, hatte allerdings auch nicht mehr Glück. Die ohnehin mageren Ernten wurden durch verheerende Pilzinfektionen vernichtet. Wenn trockene Böden ihre Stabilität verlieren und ungeschützt der Erosion ausgesetzt sind, sind die Folgen nicht zwingend so katastrophal – aber immer weitreichend.
Die trockene Erde und ihre Haut
Selbst kleine Veränderungen können unsere Versorgung gefährden, wenn die betroffene Fläche groß genug ist. Im Zuge der Klimakatastrophe sind jetzt aber ganze Landstriche höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen ausgesetzt. Das gefährdet den natürlichen Bewuchs und damit auch die Biologischen Bodenkrusten. Das sind oft kaum zu sehende Lebensgemeinschaften, die jeweils nur wenige Millimeter aufragen und in die Erde eindringen. In Wüsten und anderen Trockengebieten bedecken sie den Boden, können aber auch an und unter Steinen wachsen.
Von der Wissenschaft werden die Biokrusten nach ihren Entwicklungsstufen eingeteilt. Den Anfang machen immer Cyanobakterien. Sie bereiten den Boden etwa für andere Bakterien und Pilze. Dazu können Flechten, Moose sowie Einzeller, Würmer, Schnecken und Gliedertiere wie Springschwänze kommen. Es dauert aber Jahre oder sogar Jahrzehnte, bis die Besiedlung divers mit hunderten Arten ist. Räumlich sind die Bodenkrusten in Schichten aufgeteilt: Oben leben alle Fotosynthese betreibenden Organismen wie die Cyanobakterien, während lichtscheue Spezies weiter unten siedeln.
Ob sich Biologische Bodenkrusten überhaupt bilden können, hängt vom Niederschlag, von der Temperatur und der landwirtschaftlichen Nutzung ab. In gemäßigten Zonen wie in Mitteleuropa sind sie selten, weil Gefäßpflanzen wie Sträucher und Bäume dominieren. In den Wüsten, Steppen und Savannen im südlichen Afrika, in Australien und Asien sowie im Südwesten der USA herrschen aber die Bodenkrusten vor. Nach einer Studie am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz unter der Leitung von Bettina Weber, die mittlerweile an der Universität Graz arbeitet, bedecken sie rund vierzig Prozent der festen Landmasse, was bis zu zwölf Prozent der Erdoberfläche entspricht.
Die Schleimspur der Pioniere
Als eine Art lebende Haut der Erde akkumulieren und transformieren sie Nährstoffe, spielen sogar eine zentrale Rolle bei den globalen Zyklen für Stickstoff und Kohlenstoff. Dabei hilft ein wichtiger Aspekt: „Die Bodenkrusten haben schon was Schleimiges«, sagt Weber. »Sie sind zwar trocken, hart und krustig, aber es gibt daneben auch den Schleimaspekt." Der ist den Cyanobakterien zu verdanken, die als Pioniere jede Bodenkruste starten und dafür eine schleimige Matrix produzieren. Sie besteht aus sogenannten Exopolysacchariden, die die Partikel im Boden verkleben und so vor Erosion schützen.
Biologische Schleime sind hochhydrierte Hydrogele, bestehen also überwiegend aus Wasser. Und auch diese Matrix speichert – zum Nutzen der gesamten Lebensgemeinschaft – etwa nach Regenfällen das wenige Wasser, bevor es verdunstet oder versickert. Trotzdem müssen alle Bewohner der Bodenkrusten längere Dürreperioden überstehen können. Zu den Spezialisten gehören die Bärtierchen, die sich bei Bedarf in einen Ruhezustand begeben und ebenso schnell wieder reaktivieren, wenn Wasser zur Verfügung steht.
Biologische Bodenkrusten kommen nicht nur auf allen Kontinenten und in allen Klimazonen vor, sondern sind wahrscheinlich auch echte Pioniere der Evolution. Sie gelten als die erste Lebensgemeinschaft auf trockenem Terrain, bildeten sich vermutlich zunächst an Gewässergrenzen und zogen dann landeinwärts. Heute sind sie aber gefährdet. Bettina Weber hat berechnet, dass vielleicht sogar ein Viertel dieser schützenden Hülle verschwinden könnte. Der Klimawandel ist ein Risikofaktor, wobei auch die Zunahme der Weltbevölkerung dazu beiträgt. Denn jetzt werden Ackerflächen zunehmend auf trockene Landstriche ausgedehnt, die bislang von Biokrusten bedeckt waren.
Wenn Pflanzen hungern
Was passiert, wenn immer mehr Flächen ihre lebendige Haut verlieren? Dann drohen globale Auswirkungen, etwa auf den Stickstoffkreislauf. Dieser Nährstoff kommt zwar in ausreichender Menge in Böden und in der Atmosphäre vor, kann von Pflanzen aber nicht direkt genutzt werden. Sie brauchen Mikroben, die Stickstoff fixieren, ihn also in eine verwertbare Form bringen. Dieser auch für den Menschen essenzielle Service wird nach Bettina Webers Berechnungen weltweit zur Hälfte von den Bodenkrusten geleistet. Störungen in diesem Gefüge würden viele Ökosysteme an nährstoffarmen Standorten besonders hart treffen.
Ein Verlust der Bodenkrusten würde die oberen Erdschichten aber auch verstärkt der Erosion durch Wind und Wasser aussetzen. Dann könnte sich die Atmosphäre mit feinsten Partikeln anreichern mit enormen Auswirkungen auf unsere Gesundheit – und zwar nicht nur bei ohnehin allergiegeplagten Menschen. Es ist aber nicht nur Staub allein, der die Luft erfüllt. Organische Teilchen wie Mikroben und Pollen sowie Insekten kommen dazu. Wer sich von ihnen hier wo und wie lange und auf welchen Routen in der Atmosphäre bewegt, ist der Gegenstand der Aerobiologie.
Superstars auf Sporensuche
Ihre erste und bislang einzige goldene Zeit erlebte diese Disziplin in den 1930er-Jahren. Denn damals setzten den Farmern im Mittleren Westen neben der Weltwirtschaftskrise und den verheerenden Haboobs auch Pflanzenpathogene zu. Fred C. Meier, ein Mitarbeiter im US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium, erwies sich als der richtige Mann am richtigen Ort für dieses Problem. Er wollte erkunden, wie sich die gefährlichen Rostpilze mit ihren Sporen verbreiteten und welche Rolle das Wetter und die Atmosphäre dabei spielten.
Sein Charisma und sein Pilotenschein verschafften ihm wohl die passenden Kontakte und ausreichend Überzeugungskraft, um gleich mehrere Superstars der amerikanischen Aviation für das Projekt zu rekrutieren. Die Flugpionierin Amelia Earhart, die später wie Meier auch bei einem Absturz ums Leben kam, war ebenso dabei wie das Ehepaar Lindbergh. Charles hatte als erster Pilot allein und nonstop den Atlantik überquert und überschattete damit seine Frau Anne. Sie war aber als eine der ersten Pilotinnen der USA bekannt und übernahm bei gemeinsamen Flügen ebenfalls das Steuer.
Die Lindberghs und der Luftplankton
Das war nicht zuletzt bei einer Reise im Jahr 1933 von den USA über Grönland nach Dänemark nötig. Denn dabei brachten die beiden in Absprache mit Meier Luftfallen aus. Diese sky hooks hatte Charles selbst aus Metallzylindern konstruiert, in die ölig-klebrige Glasplatten eingespannt wurden, die feste Teilchen in der Luft einfingen. Mit Erfolg: Tatsächlich fanden sich einen Kilometer über Grönland Sporen der Roste und anderer Pilze, die tausende von Kilometern entfernt am Boden wuchsen und enorme Schäden in der Landwirtschaft anrichteten.
Kein Zweifel möglich: Diese Sporen bewegen sich als Nomaden der Lüfte hoch oben in der Atmosphäre um den Planeten. Die Lindberghs fingen aber auch Pollenkörner, Fragmente von Pilzhyphen, Kieselalgen, Insektenflügel, vulkanische Asche und Glas ein. In Anlehnung an das Plankton, die driftenden Lebensgemeinschaften der Ozeane, wird hier manchmal von Aeroplankton oder Luftplankton gesprochen: Der Begriff umfasst von Bakterien bis zu Sporen die Bewohner und Gäste der Lüfte, die nicht selbst fliegen können und deshalb mit dem Wind treiben.
Marine Mikroben im Schleudersitz
Von manchen Mikroben wissen wir mittlerweile, dass sie aus dem Meer stammen. Dann steigen Luftblasen im Wasser auf und zerplatzen an der gelartigen Oberfläche: ein Schleudersitz für dort siedelnde Bakterien. Aber auch wenn Regentropfen auf Ackerland treffen, wirbeln Mikroben durch den Aufprall in die Höhe. Selbst Pflanzenblätter können zum Startplatz werden – wenn sie erkältet sind. So wie sich manche Erreger des Menschen über die Atemluft und kleinste Tröpfchen verbreiten, können sich in Schleim gehüllte Pilzpathogene über spritzende Regentropfen von Pflanze zu Pflanze bewegen.
Der Erreger Pseudomonas syringae kommt zwar überall auf der Erde und selbst im Wasser vor, kann aber auch tagelang in der Atmosphäre überstehen. Noch ist unklar, wie das Bakterium diese enorme Belastung übersteht, ob es etwa als schützende Schleimhülle einen sogenannten Biofilm bildet. „Belege dafür fehlen bislang", sagt der Mikrobiologe Hans-Curt Flemming. „Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass solche Biofilme existieren. Die Mikroben könnten als kleine Klümpchen in den Wolken leben." Zumindest so lange es ihnen dort gefällt.
Manche Stämme von Pseudomonas syringae produzieren ein Protein, das Wasser bei ungewöhnlich hohen Temperaturen gefrieren lässt. Das Bakterium wandelt sich so zum Kristallisationspunkt für Eis, kann also möglicherweise bei Bedarf im Inneren eines selbst initiierten Hagelkorns oder einer Schneeflocke auf festen Boden zurückkehren. Grundsätzlich tragen Mikroben wohl auch zur Bildung von Wolken bei, könnten also an vielen fundamentalen Prozessen beteiligt sein. Manche Forscher sprechen bereits von einem airborne microbiome, einem in die Luft getragenen Mikrobiom.
Klimastress für die Haut der Erde
Beim Begriff des luftgetragenen Mikrobioms schwingt auch mit, dass diese Gemeinschaft nicht willkürlich zusammengesetzt ist, sondern Regeln folgen könnte. Tatsächlich haben Studien bereits gezeigt, dass die mikrobielle Zusammensetzung des Luftplanktons stark von der Jahreszeit abhängen kann, mit großen Unterschieden zwischen Sommer und Winter. Spinnen, flügellose Insekten, Pflanzensamen sowie andere Bewohner und Bestandteile finden sich häufig, vor allem aber hunderte Arten von Bakterien und tausende Arten von Pilzen. Bevor wir diese Gemeinschaften und ihre Bedeutung im Detail entschlüsseln können, droht sie der Klimawandel nun aber irreversibel zu verändern.
Ähnlich also wie die eng mit dem Aeroplankton verbundenen Biologischen Bodenkrusten, denen neben der Klimakrise und Ausweitung der Landwirtschaft jeder Tritt mit Schuh oder Huf und jeder Reifen gefährlich wird. Wie verheerend sich Veränderungen jeder Art auswirken können, zeigte sich beispielhaft in der chilenischen Atacama-Wüste in Chile. Sie gehört zu den trockensten Orten auf der Erde, wobei hier nur wenige Bakterien, Algen, Pilze und Flechten in Bodenkrusten oder zumindest als Bodenmikrobiom überleben können.
Wohl als Folge des Klimawandels zogen nach mehreren trockenen Dekaden im Jahr 2017 erstmals Regenstürme über das Gebiet hinweg. Sollten die Überlebenskünstler der Atacama jetzt nicht aufblühen? Tatsächlich kam es zu einer Art Massaker, weil der ungewohnte Überfluss an Flüssigkeit die Mikroben platzen ließ. Von den ohnehin nur wenigen Arten der Atacama hat nur eine Handvoll überlebt. Das muss nicht das endgültige Ende bedeuten, weil sich auch Biologische Bodenkrusten regenerieren können – sie brauchen aber oft Jahre oder sogar Jahrzehnte dafür.
Der Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version eines Kapitels aus Das Buch vom Schleim (Matthes & Seitz, 2019)