Ontologischer Beweis: Gödel zeigt, dass Gott existiert – oder nicht - Spektrum der Wissenschaft


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    Ontologischer Beweis: Gödel zeigt, dass Gott existiert – oder nicht

  • Die fabelhafte Welt der Mathematik
  • 02.09.2022
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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Lässt sich Gott mathematisch beweisen?

Viele Menschen glauben an ein höheres Wesen. Einige haben sich sogar an einem logischen Beweis für die Existenz eines Gottes versucht.
© joshblake / Getty Images / iStock; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft (Ausschnitt)
Kann man Gott mit logischen Argumenten herleiten?

Wer hätte gedacht, dass ich in dieser Mathematik-Kolumne auf Gott zu sprechen komme? Aber keine Angst, wir bewegen uns dabei weiterhin in einem streng wissenschaftlichen Rahmen. Tatsächlich haben einige Mathematiker über die Jahrhunderte hinweg immer wieder versucht, die Existenz eines göttlichen Wesens zu beweisen: von Blaise Pascal und René Descartes (im 17. Jahrhundert) über Gottfried Wilhelm Leibniz (im 18. Jahrhundert) bis hin zu Kurt Gödel (im 20. Jahrhundert), dessen Schriften dazu erst 1987 veröffentlicht wurden. Und das wohl Erstaunlichste: 2013 prüfte ein algorithmischer Beweisassistent Gödels logische Argumentationskette – und befand sie für zweifellos korrekt. Hat die Mathematik nun alle Atheisten endgültig widerlegt?

Wie Sie wahrscheinlich schon vermuten, ist das nicht der Fall. Gödel konnte zwar beweisen, dass aus einigen Annahmen zwangsläufig die Existenz von etwas folgt, das er als göttlich definierte. Ob diese Annahmen aber berechtigt sind, kann man bezweifeln. Wenn ich zum Beispiel davon ausgehe, dass alle Katzen dreifarbig sind, und weiß, dass dreifarbige Katzen fast immer weiblich sind, dann kann ich folgern: Fast alle Katzen sind weiblich. Auch wenn die logische Argumentation richtig ist, trifft das natürlich nicht auf das Ergebnis zu. Denn schon die Annahme, alle Katzen seien dreifarbig, ist falsch. Wenn man Aussagen über beobachtbare Dinge in unserer Umgebung wie etwa Katzen trifft, kann man diese durch naturwissenschaftliche Untersuchungen überprüfen. Doch wenn es um den Beweis einer göttlichen Existenz geht, wird die Angelegenheit etwas komplizierter.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel könnt ihr hier lesen.

Während sich Leibniz, Descartes und Gödel auf einen ontologischen Gottesbeweis stützten, bei dem sie aus der reinen Möglichkeit eines göttlichen Wesens durch logische Schlüsse auf dessen Existenz schlossen, wählte Pascal (1623–1662) einen etwas anderen Ansatz: Er analysierte das Problem aus spieltheoretischer Sicht und entwickelte dabei die so genannte pascalsche Wette.

Die pascalsche Wette: Lieber auf Nummer sicher gehen

Dafür betrachtete er die beiden Möglichkeiten (1: Gott existiert, 2: Gott existiert nicht) und die von vielen Religionen gepriesenen Konsequenzen, die sich nach dem Tod ergeben, falls man an Gott glaubt oder nicht – und auch sonst keine Sünde begehe: Wenn es ein göttliches Wesen gibt und man daran glaubt, landet man im Paradies, andernfalls fährt man schlimmstenfalls in die Hölle. Existiert hingegen kein Gott, dann passiert nichts weiter – unabhängig davon, ob man religiös ist oder nicht. Die beste Strategie ist Pascal zufolge daher, an Gott zu glauben. Bestenfalls landet man im Paradies, im schlechtesten Szenario passiert gar nichts. Glaubt man hingegen nicht, dann könnte man im schlimmsten Fall in der Hölle landen.

Glaubekein Glaube
GottParadiesHölle
kein Gottnichtsnichts

Pascals Gedanken sind zwar nachvollziehbar – beziehen sich aber stark auf Szenarien aus religiösen Schriften und stellen zudem keinen Beweis für die Existenz eines übermächtigen Wesens dar. Sie besagen nur, dass man sich aus Opportunismus lieber dem Glauben anschließen sollte.

Auf der Suche nach einem »echten« Beweis

Die ontologischen Ansätze sind da schon überzeugender, auch wenn sie Atheisten höchstwahrscheinlich nicht umstimmen werden. Den Anfang machte der Theologe und Philosoph Anselm von Canterbury (1033–1109) zu Beginn des letzten Jahrtausends. Er beschrieb Gott als ein Wesen, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden könne. Wenn es dieses aber nicht gebe, dann könne man sich etwas Größeres vorstellen: nämlich ein Wesen, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, das zudem auch noch existiert (denn diese Eigenschaft macht es noch größer). Das ist aber absurd: Nichts kann größer sein als das Größte, was man sich vorstellen kann. Demnach muss die Annahme (Gott existiert nicht) falsch sein.

Es dauerte einige Jahrhunderte, bis dieser Gedanke wieder aufgegriffen wurde – und zwar von keinem Geringeren als René Descartes (1596–1650). Angeblich ohne die Schriften von Anselm zu kennen, lieferte er ein fast identisches Argument für eine göttliche Existenz, die vollkommen ist. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) nahm sich die Arbeit ein paar Jahrzehnte später vor und bemängelte sie: Descartes hatte nicht gezeigt, dass alle perfekten Eigenschaften miteinander vereinbar sind. Leibniz vervollständigte das Manko, indem er argumentierte, Perfektion ließe sich nicht richtig untersuchen – deshalb könne man niemals widerlegen, dass sich perfekte Eigenschaften in einem Wesen vereinen. Somit begründete er die Möglichkeit eines göttlichen Wesens. Und daraus folge mit Anselms und Descartes Argumenten notwendigerweise, dass Gott existiere.

Der Beweis einer göttlichen Existenz mit formaler Logik

Aus mathematischer Sicht wurden die Versuche aber erst durch Gödels Bemühungen richtig ernst. Das ist nicht allzu verwunderlich: Der Wissenschaftler hatte das Fach bereits mit 25 Jahren auf den Kopf gestellt, indem er zeigte, dass die Mathematik stets wahre Aussagen enthält, die sich nicht beweisen lassen. Dabei bediente er sich der Logik. Ebendiese ermöglichte es ihm auch, die Existenz Gottes zu beweisen:

© Spektrum der Wissenschaft (Ausschnitt)
Formaler Beweis von Kurt Gödel

Auf den ersten Blick erscheinen die zwölf Schritte kryptisch, aber man kann sie Schritt für Schritt durchgehen, um Gödels Gedanken zu folgen. Er beginnt mit einem Axiom, also einer Annahme: Wenn φ die Eigenschaft P hat und aus φ stets ψ folgt, dann besitzt auch ψ die Eigenschaft P. Der Einfachheit halber können wir annehmen, P stehe für »positiv«. Zum Beispiel: Wenn eine Frucht lecker ist (positive Eigenschaft), dann macht es auch Spaß, sie zu essen. Daher ist der Spaß am Essen auch eine positive Eigenschaft.

Das zweite Axiom setzt weiterhin einen Rahmen für P. Wenn das Gegenteil von etwas positiv ist, dann muss dieses »etwas« negativ sein. Damit hat Gödel eine Welt in Schwarz und Weiß eingeteilt: Entweder ist etwas gut oder schlecht. Wenn Gesundheit gut ist, muss eine Krankheit beispielsweise zwangsläufig schlecht sein.

Mit diesen beiden Voraussetzungen kann Gödel sein erstes Theorem ableiten: Wenn φ eine positive Eigenschaft ist, dann besteht die Möglichkeit, dass ein x mit Eigenschaft φ existiert. Das heißt, es ist möglich, dass positive Dinge existieren.

Wie definiert man Gott mathematisch?

Nun wendet sich der Mathematiker erstmals der Definition eines göttlichen Wesens zu: Demnach ist x göttlich, wenn es alle positiven Eigenschaften φ besitzt. Das zweite Axiom stellt sicher, dass ein so definierter Gott keine negativen Merkmale haben kann (sonst würde man einen Widerspruch erzeugen).

Das dritte Axiom besagt, dass Göttlichkeit eine positive Eigenschaft ist. Dieser Punkt ist nicht wirklich streitbar, da Göttlichkeit alle positiven Merkmale vereint.

Das zweite Theorem wird nun etwas konkreter: Indem man das dritte Axiom (Göttlichkeit ist positiv) und das erste Theorem (es gibt die Möglichkeit, dass etwas Positives existiert) verbindet, könnte ein Wesen x existieren, das göttlich ist.

Gödels Ziel ist es nun, in den folgenden Schritten zu zeigen, dass Gott in diesem abgesteckten Rahmen zwangsläufig existieren muss. Dafür führt er in der zweiten Definition die »Essenz« φ eines Objekts x ein, also eine charakteristische Eigenschaft, die alle anderen Merkmale bestimmt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist »Welpenhaftigkeit«: Wenn etwas diese Eigenschaft besitzt, ist es zwangsläufig süß, flauschig und tapsig.

Was macht ein Wesen in seinem Kern aus?

Das vierte Axiom scheint zunächst nicht allzu spannend. Es besagt nur, dass, wenn etwas positiv ist, es dann immer positiv ist – egal zu welcher Zeit, in welcher Situation oder an welchem Ort. Welpenhaftigkeit und Schmackhaftigkeit sind beispielsweise immer positiv, ob am Tag oder in der Nacht, ob in Heidelberg oder Buenos Aires.

© cmannphoto / Getty Images / iStock (Ausschnitt)
Welpenhaftigkeit | Die Essenz des kleinen Hundes ist Welpenhaftigkeit: Daraus folgt sofort, dass er süß, flauschig und tapsig ist.

Gödel kann nun das dritte Theorem formulieren: Wenn ein Wesen x göttlich ist, dann ist Göttlichkeit dessen essenzielle Eigenschaft. Das leuchtet ein, denn wenn etwas göttlich ist, besitzt es alle positiven Merkmale – und damit sind die Eigenschaften von x festgelegt.

Im nächsten Schritt geht es darum, wann etwas existiert. Wenn irgendwo mindestens ein Wesen y die Eigenschaft φ besitzt, welche die essenzielle Eigenschaft von x ist, dann existiert auch x. Das heißt, wenn irgendetwas »welpenhaft« ist, dann müssen auch Welpen existieren.

Dem fünften Axiom zufolge ist die Existenz eine positive Eigenschaft. Dem würden die meisten Leute wohl zustimmen.

Daraus kann man nun folgern, dass Gott existiert, denn er besitzt jede positive Eigenschaft und Existenz ist positiv.

Kritik an Gödels Beweis

Wie sich herausgestellt hat, sind Gödels logische Schlüsse alle korrekt – das konnten selbst Computer nachweisen. Dennoch gibt es Kritik. Neben den Axiomen, die man natürlich in Frage stellen kann (warum sollte sich eine Welt in »gut« und »böse« unterteilen lassen?), gibt Gödel beispielsweise keine näheren Details dazu an, was eine positive Eigenschaft ist. Anhand der Definitionen und Axiome kann man die Menge P immerhin mathematisch beschreiben:

  1. Falls eine Eigenschaft zu der Menge gehört, ist dessen Negation nicht enthalten.
  2. Die Menge ist in sich abgeschlossen.
  3. Die Eigenschaft, als Essenz nur die Merkmale innerhalb der Menge zu besitzen, ist selbst ein Element der Menge.
  4. Die Menge hat immer die gleichen Elemente – unabhängig von der Situation (dem mathematischen Modell).
  5. Existenz ist Teil der Menge.
  6. Wenn φ Teil der Menge ist, dann ist die Eigenschaft, φ als Essenz zu haben, auch in der Menge enthalten.

Damit ist allerdings nicht sichergestellt, dass diese Menge eindeutig ist. Es könnte mehrere Sammlungen geben, die den Anforderungen genügen. Wie Logiker beispielsweise gezeigt haben, lassen sich Fälle konstruieren, in denen nach Gödels Definition mehr als 700 göttliche Wesen existieren, die sich in ihrer Essenz unterscheiden.

Damit ist die abschließende Frage nach der Existenz eines (oder mehrerer?) göttlichen Wesens nicht geklärt. Ob die Mathematik wirklich der richtige Weg ist, um sie zu beantworten, ist fraglich – auch wenn die Bemühungen durchaus spannend sind.

Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!

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Die Autorin ist Redakteurin bei »Spektrum der Wissenschaft«, vorrangig für die Bereiche Mathematik und Informatik, und Autorin der Kolumne »Die fabelhafte Welt der Mathematik«.