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Klimawandel: »Grünes Wachstum ist Wunschdenken«

Keine privaten Flugreisen, deutlich weniger Fleischkonsum: »Unser Energiehunger muss schrumpfen«, sagt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Im Interview mit »Spektrum.de« erklärt sie, wie eine Welt ohne Wachstum aussehen könnte.
© chinaface / Getty Images / iStock (Ausschnitt)
Wind und Sonne werden nicht genügen, unseren Energiehunger zu stillen, sagt die Journalistin Ulrike Herrmann im Interview. (Symbolbild)

Wer den Klimawandel aufhalten will, kann nicht weitermachen wie bisher – darin sind sich Fachleute einig. Doch von starken Einschränkungen will kaum jemand sprechen. Die Krise sei lösbar, wenn die Wirtschaft nachhaltig und klimaneutral wachse, versprechen Politikerinnen und Politiker. Die Wirtschaftshistorikerin und Journalistin Ulrike Herrmann widerspricht: Wachstum und Klimaschutz seien unvereinbar. In ihrem neuen Buch »Das Ende des Kapitalismus« erläutert sie, warum sich unser Wirtschaftssystem grundlegend verändern müsse.

»Spektrum.de«: Können Sie kurz erklären, warum der Kapitalismus enden muss?

Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum – Die Woche, Willkommen im Metaverse!

Ulrike Herrmann: Es ist eigentlich ganz einfach. Der Kapitalismus ist auf Wachstum angewiesen, um stabil zu sein. Wenn die Wirtschaft schrumpft, droht das System zu kollabieren. Unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt aber nicht möglich. Wir zerstören den gesamten Planeten, die Klimakrise ist ja nur eines von vielen Umweltproblemen.

Aber es hat doch in der Vergangenheit immer wieder heftige Wirtschaftskrisen gegeben, ohne dass das System kollabierte …

© mit frdl. Gen. von Ulrike Herrmann (Ausschnitt)
Ulrike Herrmann | Die Autorin ist gelernte Bankkauffrau und hat Geschichte und Philosophie studiert. Sie schreibt als Wirtschaftsjournalistin für die Tageszeitung »taz« und hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem über die Geschichte des Kapitalismus. Ihr jüngstes Buch, »Das Ende des Kapitalismus«, erschien im Herbst 2022.

Der Kapitalismus kann Krisen verkraften, wenn die Aussicht besteht, dass wieder Wachstum einsetzt. Ohne Wachstum droht der Kollaps. Instinktiv weiß das auch jeder. In der Corona-Krise hat die Bundesregierung etwa 500 Milliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt, weil sie chaotisches Schrumpfen unbedingt verhindern wollte.

»Selbst wenn wir alle verfügbaren Flächen nutzen, wird die klimaneutrale Energie nicht in der Lage sein, unseren Energiehunger zu stillen«

Warum können wir nicht weiter wachsen?

Wir leben weit über unsere Verhältnisse. Momentan verbrauchen wir so viel Energie und Rohstoffe, als hätten wir drei Erden. Wir haben aber nur einen Planeten.

Warum kann ein grünes Wachstum – die Verbindung von Wachstum und Nullemissionen – nicht die Lösung sein?

Grünes Wachstum ist Wunschdenken. Aktuell liefern Wind- und Sonnenenergie zusammen gerade mal knapp sieben Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs. Selbst wenn wir alle verfügbaren Flächen nutzen, wird die klimaneutrale Energie nicht in der Lage sein, unseren Energiehunger zu stillen. Also müssen wir schrumpfen.

Fast alle Parteien setzen auf grünes Wachstum als wirksames Mittel gegen den Klimawandel. Wie kann das sein, wenn das eine Illusion ist?

Die Parteien richten sich nach den Wünschen der Gesellschaft. Sie führen nicht, sie folgen. Wenn die Mehrheit der Deutschen davon überzeugt wäre, dass wir schrumpfen und aus dem Kapitalismus aussteigen müssen, dann würden sich die Parteien auch in diese Richtung bewegen. Die meisten Bürger hoffen aber auf grünes Wachstum und technische Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel. Genau das spiegeln die Parteien wider. Und die Parteien sind damit nicht allein. Auch der Weltklimarat, die Europäische Zentralbank, die Bundesbank, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank propagieren grünes Wachstum. Vielleicht, weil diese Lösung so verlockend ist.

Sie zitieren in Ihrem Buch das Bonmot des Kulturwissenschaftlers Frederic Jameson, es sei leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Wodurch soll der Kapitalismus denn ersetzt werden?

Am Ende muss eine ökologische Kreislaufwirtschaft stehen, in der nur noch so viel verbraucht wird, wie nachhaltig produziert werden kann. Es gibt auch schon gute Konzepte, wie diese Kreislaufwirtschaft aussehen könnte. Aber die Wachstumskritiker verwechseln die Vision mit dem Weg. Sie haben keine Antwort auf die Frage, wie man weniger produzieren kann, ohne dass das Wirtschaftssystem kollabiert. Ich glaube, dass für diesen Übergang die britische Kriegswirtschaft ab 1939 ein geeignetes Vorbild sein könnte.

Können Sie das System kurz beschreiben?

Auch die Briten mussten damals ihre Wirtschaft schrumpfen. Weil sie vom Krieg überrascht wurden, mussten sie ihre Fabriken frei räumen, um die nötigen Waffen produzieren zu können. Sie erfanden dafür eine demokratische, private Planwirtschaft. Die Fabriken wurden nicht verstaatlicht, aber der Staat hat Vorgaben gemacht, was noch produziert wird. Die knappen Güter wurden dann gerecht verteilt. Es wurde rationiert, zum Beispiel Fleisch, Zucker, Käse, Butter und Tee, aber auch Kleidung, Seife oder Kohle. Arm und Reich wurden gleich behandelt, deshalb war das System ungemein populär.

»Es gibt keine Alternative zu einer Art Kriegswirtschaft, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen«

Aber damals gab es einen konkreten Feind, nämlich Hitler. Lässt sich das so einfach auf die Klimakrise übertragen?

Es stimmt, die Klimakrise hat kein Gesicht. Sie ist ein Strukturproblem und global. Zudem müssen wir auf Dauer schrumpfen, während die Briten wussten, dass sie nach Kriegsende wieder Wirtschaftswachstum haben würden. Trotzdem gibt es keine Alternative zu einer Art Kriegswirtschaft, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir wären nicht so arm wie die Briten im Zweiten Weltkrieg, sondern viel reicher. Es geht nur um die Methode.

Wie könnte diese neue Gesellschaft mit privater Planwirtschaft aussehen?

Da Ökostrom knapp und teuer bleiben wird, ist die zentrale Frage, wofür er noch reicht. Flugreisen dürfte es nicht mehr geben, weil Ökokerosin technisch zwar möglich ist, aber viel zu viel Energie frisst. Auch den privaten Autoverkehr würde es kaum noch geben. Ein Auto wiegt zwischen einer und zwei Tonnen und transportiert im Schnitt nur 1,3 Menschen. Das ist reine Energieverschwendung, was auch für E-Autos gilt. Die Frage ist daher: Was soll mit den Menschen passieren, die in diesen Branchen arbeiten? 1,75 Millionen sind direkt oder indirekt in der Autoindustrie beschäftigt, 850 000 in der Flugbranche. Auch Banken, die ja von der Kreditvergabe leben, würden überflüssig, denn Darlehen können nur zurückgezahlt werden, wenn es Wachstum gibt. Werbung braucht es eigentlich auch nicht mehr, wenn die Wirtschaft schrumpft, weil die wenigen Produkte sowieso ihre Abnehmer finden. Die Presselandschaft würde sich ebenfalls verändern, weil Zeitungen und Magazine über Anzeigen finanziert werden. Allerdings entstehen auch neue Arbeitsplätze – vor allem im Klimaschutz. Aber Millionen Beschäftigte müssten sich umorientieren. Das kann man nicht dem Zufall überlassen, das muss geplant werden.

Bis wann müsste dieser Systemwechsel vollzogen sein?

Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Danach drohen verschiedene Klimakipppunkte, so dass die Erderwärmung unkontrollierbar würde.

»Wenn jetzt alle auf einen Schlag aufhören zu konsumieren, würde die Wirtschaft kollabieren. Es geht darum, den Übergang geplant und geordnet zu vollziehen«

Für wie realistisch halten Sie es, dass sich die Gesellschaft wirklich in diese Richtung bewegt?

Es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln. Die Zahl der Autos steigt weiter an, obwohl alle wissen, dass sie das Klima belasten und die Städte verstopfen. Mittlerweile gibt es mehr als 50 Millionen Autos in Deutschland. Das ist Wahnsinn! Bei Lesungen werde ich häufig gefragt, was denn der Einzelne jetzt tun kann. Wenn ich dann sage, dass wir deutlich weniger Fleisch essen müssen, gucken viele ganz entsetzt. Aber Fleisch ist nicht harmlos. Es ist erwiesen, dass unser Fleischkonsum – fast 60 Kilo pro Person und Jahr – die Gesundheit stark gefährdet und beispielsweise Krebs und Herzinfarkte begünstigt. Außerdem zerstört unser Fleischhunger die Artenvielfalt, die Natur und das Klima. Für Sojafutter wird der Regenwald im Amazonas abgeholzt, Rinder produzieren sehr viel vom Klimagas Methan, und die Gülle verseucht das Grundwasser. Auch ökonomisch wäre es ganz ungefährlich, auf Fleisch weitgehend zu verzichten. Die Landwirtschaft ist sowieso stark subventioniert und staatlich reguliert. Zudem würden die Menschen ja weiterhin essen – nur anders. Bauernhöfe und Lebensmittelindustrie würden also weiter gebraucht. Der Fleischkonsum ist ein starkes Signal: Solange er nicht deutlich sinkt, ist klar, dass es der Gesellschaft völlig egal ist, dass wir den Planeten und unsere eigene Zukunft ruinieren.

Wie sieht es aus mit Konsumverzicht, Tauschbörsen und Secondhandläden?

Eher nicht. Wenn jetzt alle auf einen Schlag aufhören zu konsumieren, würde die Wirtschaft kollabieren. Es geht ja gerade darum, den Übergang geplant und geordnet zu vollziehen, damit es so wenig Turbulenzen wie möglich gibt.

Besteht die Gefahr, dass mit dem Kapitalismus auch die Demokratie abgeschafft wird?

Wenn wir geordnet aus dem Kapitalismus aussteigen, besteht zumindest die Hoffnung, dass die Demokratie überlebt. Wenn wir hingegen weitermachen wie bisher, wird sich die Klimakrise dramatisch verschärfen, so dass es zu einem chaotischen Zusammenbruch kommt. Dann drohen Verteilungskämpfe und eine Refeudalisierung der Gesellschaft. Einige wenige Starke eignen sich die letzten Rohstoffe und Waren an und verteilen sie an ihre Günstlinge. Dann hätten wir ein Gesellschaftssystem wie in Russland oder ein Warlord-System wie in Afghanistan. Deshalb ist es ja so wichtig, das Schrumpfen zu planen.

In Ägypten hat gerade die Weltklimakonferenz stattgefunden. Haben Sie dort Ansätze gesehen, auf globaler Ebene über die Überwindung des Wachstums zu reden?

Nein, die Mehrheit derer, die dort teilgenommen haben, setzt weiterhin auf grünes Wachstum.

Wird Deutschland in 20 Jahren grundlegend anders aussehen als heute?

Ich denke schon. Die Klimakrise wird sich deutlich verschärfen. Schauen Sie doch mal auf die Temperaturen. Bis Mitte November hatten wir häufig 14 Grad und Sonnenschein. Nicht nur der Sommer war extrem trocken, auch der Herbst. Das sind italienische Verhältnisse und wird die hiesige Vegetation bald überfordern. Wasser wird so knapp, dass wir es in Zukunft rationieren müssen. Die Produktion von Nahrungsmitteln wird in jedem Fall deutlich schwieriger als heute, in Deutschland und weltweit. Aktuell gibt es zumindest theoretisch genügend Lebensmittel für alle, nur kommt die Nahrung bei Millionen Menschen nicht an. In Zukunft werden die Lebensmittel tatsächlich so knapp, dass dann nur noch alle satt werden können, wenn wir weitgehend auf Fleisch verzichten und die Klimakrise rechtzeitig stoppen.

Glauben Sie daran, dass uns eine geplante Abkehr vom Kapitalismus gelingen kann?

Da bin ich zwiegespalten. Rein intellektuell bin ich pessimistisch. Emotional habe ich noch Hoffnung. Es gibt bisher keine Schätzungen, wie stark unsere Wirtschaftsleistung schrumpfen muss, um klimaneutral zu werden. Aber mehr als minus 50 Prozent sind es bestimmt nicht. Dann wären wir immer noch so reich wie 1978. Wer damals schon gelebt hat, weiß: Wir waren genauso glücklich wie heute. Auch mit Einschränkungen könnte es also ein schönes, entspanntes Leben sein.

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arbeitet als Naturjournalist und Buchautor in Berlin. Einmal im Monat erscheint auf »Spektrum.de« seine Kolumne »Storks Spezialfutter«.