Klimakrise ǀ „Die Lebenslüge: Nichts muss sich verändern“ — der Freitag
Published by The Internett,
„Die Lebenslüge: Nichts muss sich verändern"
Klimakrise
Harald Welzer ist sauer, dass die Ökonomie Kapitalismus nicht ohne Wachstum denken kann. Hier verschafft er sich Luft
Foto: Felix Schmitt für der Freitag
Harald Welzer sehe von Weitem aus „wie ein Tiroler Skilehrer", hat die taz einmal geschrieben, und meinte: nicht professoral, wie man es bei seinen akademischen Titeln erwarten würde. Mag sein: Aber Welzer spricht auch nicht wie manch anderer Soziologieprofessor. Sein Standpunkt verschwindet nicht hinter abstrakten Begriffen, sondern kommt ganz direkt daher: Es ist Zeit für ein Umdenken, für ein Aufhören mit allem, was „schwachsinnig" und schädlich ist, wenn die Menschheit überleben will. Und nein, angenehm wird das nicht, sagt Welzer. Wir sollten uns da nichts vormachen.
der Freitag: Herr Welzer, Sie haben ein Buch über das Aufhören geschrieben: ein Lob der Kulturtechnik des Aufhörens. Warum?
Weil wir als Gesellschaft es mit Endlichkeitsproblemen zu tun haben, was nichts anderes heißt, als: Wir müssen aufhören. Der Klimawandel ist ein Endlichkeitsproblem. Wenn wir eine bestimmte ziemlich enge Spanne einer überlebenstauglichen Temperatur verlassen, dann kommt die menschliche Lebensform an ihr Ende. Artensterben ist ein Endlichkeitsproblem: Wir haben jetzt schon rund 70 Prozent der Insektenarten verloren, aber wenn wir bei 100 Prozent ankommen, ist Schluss mit den Nahrungsketten, den Bestäubungen und so weiter. Zugleich blendet aber unsere Kultur Endlichkeit systematisch aus. Wir haben kein Konzept von Endlichkeit, wir lernen nicht aufzuhören, sondern wir optimieren. Das plakativste Beispiel für das Optimieren ist die Ersetzung von fossilen Automotoren durch Elektromotoren: Wir haben offensichtlich ein Klima- und ein Verkehrsproblem, aber anstatt dass wir überlegen, welche Art der Fortbewegung wir eigentlich praktizieren möchte, machen wir mit denselben Autos weiter und optimieren nur den Antrieb.
Wir hören nicht auf, sondern rüsten um. Wir dekarbonisieren! Sie glauben nicht, dass das eine gute Idee ist?
An sich ist es eine gute Idee, wenn man ein Problem hat, das auf zu viel CO2-Emissionen zurückgeht, die CO2-Emissionen zu reduzieren, zweifellos. Aber das alleine wird überhaupt nicht ausreichen. Wir denken— das ist ja geradezu paradox —an eine Reduktion bei permanenter Steigerung. Wir sprechen zum Beispiel beim künftigen Stromverbrauch von einer Vervielfachung dessen, was heute produziert wird. Allein die Chemieindustrie wird, wenn sie denn elektrifiziert werden soll, so viel Strom verbrauchen, wie heute die ganze Bundesrepublik. Wenn wir ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent haben und China von acht, dann heißt das, wir haben jedes Jahr zwei bis acht Prozent mehr Verbrauch von allem. Mehr Verbrauch von allem bedeutet: mehr Energie, um Rohstoffe aus dem Boden, dem Meer, den Wäldern zu holen. Mehr Energie für die Stoffumwandlung, um daraus Produkte zu machen. Mehr Energie, um das Zeug um den Globus zu transportieren. Mit dieser Logik des permanenten Immer mehr wird man Endlichkeitsprobleme nicht bewältigen können.
Ja, aber ist denn dieses permanente Immer mehr nicht das Herz unseres Wirtschaftssystems, des Kapitalismus? Will sagen: Wenn wir damit aufhören wollen, müssten wir gleich auch mit dem Kapitalismus aufhören?
Wir haben doch gelernt, dass der Kapitalismus die geschmeidigste Wirtschaftsform von allen ist. Und wenn er etwas kann, dann ist es, sich an veränderte Umfeldbedingungen anzupassen. Mir ist das gar nicht einsehbar, warum eine hoch bezahlte Wissenschaft, die Ökonomik, nicht mehr zusammenbringt als eine Kapitalismustheorie, die darin besteht, dass der Kapitalismus funktioniert wie ein Fahrrad: Sobald ich aufhöre zu treten, kippt das Ding um. Das ist doch für Leute, die studiert und promoviert haben, sich habilitiert haben und auf Lehrstühlen sitzen, echt ein bisschen wenig. Zumal sie nun viele Jahrzehnte Zeit gehabt haben, sich Gedanken darüber zu machen, wie man eigentlich eine Wirtschaftsform entwickelt, die nicht monothematisch von Wachstum abhängig ist. Wir haben jetzt 200.000 Jahre Menschheitsgeschichte ohne Wachstum in dem heute definierten Sinne, und in der Zeit sind ziemlich viele Sachen gemacht und erfunden und verbessert worden. Warum denn ausgerechnet in unserer Kultur nicht, warum ist unser ganzes Bestehen und Weiterexistieren von einem Parameter abhängig? Das will mir nicht recht einleuchten, zumal wenn der die Überlebensfähigkeit einschränkt, dieser Parameter.
Das leuchtet Ihnen nicht ein, trotzdem ist es so.
Was heißt, trotzdem ist es so? (lacht) Diese ganze Klamotte, die heute an den Universitäten gelehrt wird und von der die Standardökonomie lebt und sich gegenseitig Nobelpreise verleiht, ist doch historisch ein Produkt des Kalten Krieges: Das Wachstumskonzept hat in der Systemkonkurrenz überhaupt erst Karriere gemacht! Weil man Maßzahlen brauchte, um zu zeigen, welches System das erfolgreichere und bessere ist. Klassische Ökonomen haben überhaupt nie von Wachstum geredet. Selbst Ludwig Erhard, der jeder sozialistischen Umtriebe unverdächtige ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, schreibt in seinem Buch „Wohlstand für alle", dass die Ökonomen sich mittelfristig darüber Gedanken machen sollten, was nach dem Hyperwachstum kommt. Das schreibt er vor 60 Jahren, eingelöst wurde das aber nie.
Weil uns die nackte Angst befällt, wenn wir uns eine Wirtschaft vorstellen, die nicht wächst. Da kriegen wir Panik.
Ich nicht. Ich bin da ganz panikfrei.
Aber glauben Sie auch, dass es möglich ist, unsere Gesellschaft mit allem Lebenswichtigen zu versorgen, ohne dass die Standards um 50 Jahre zurückfallen, ohne eine Wirtschaftsweise, die immer weiter wachsen muss und wächst?
Ja, klar. Warum auch nicht?
Okay.
Im Grunde genommen handelt sich um eine Glaubensfrage. Ich kann den Glaubenssatz aufstellen: All das geht nur mit Wachstum. Aber dazu würde ich sagen: Historisch ging es auch anders. Außerdem: Wir sind doch alle so unfassbar innovativ. Unsere Gesellschaft ist anscheinend in jeder Hinsicht bereit, innovativ zu sein, aber nicht im wirtschaftlichen Denken. Das ist doch total abgefahren! Wenn die Finanzwirtschaft sich jetzt umstellt und Investitionen nur noch dort tätigt, wo nachhaltig gewirtschaftet wird, dann verändert sich etwas Grundsätzliches, auf der Ebene des Geldes, nicht des Denkens. Wenn die Gemeinwohl-Ökonomie von immer mehr Unternehmen praktiziert wird, dann wird nach anderen Kriterien bilanziert als allein nach monetären, dann misst man: Wie ist die Gerechtigkeit den Mitarbeitern gegenüber, wie ist die Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt? Wenn in der Produktion Umweltkosten endlich internalisiert werden, nicht mehr externalisiert, das sind alles Ansätze für eine Gesellschaftsentwicklung, die sich nicht allein am Wachstum orientiert. Mir geht das wirklich total auf den Senkel, dass eine moderne, sich selber als Wissensgesellschaft bezeichnende Gesellschaft diesem Glauben huldigt, ohne ihn an relevanter Stelle infrage zu stellen. Das macht mich fertig als denkender Mensch.
Wahrscheinlich müssten wir in einer Wirtschaft, die vor allem auf Gemeinwohl-Ökonomie setzt, die auch die Kosten nicht abwälzt auf andere, sondern die Kosten einpreist, da müssten wir unsere Anforderungen runter schrauben. Glauben Sie nicht?
Ja, es könnte durchaus sein, dass man sich diesem furchtbaren, entsetzlichen, folterähnlichen Zwang unterwerfen muss, nicht mehr mit 650 PS und zweieinhalb Tonnen Gewicht einen Parkplatz in einem Parkhaus in der Innenstadt zu suchen. Das ist schon echt hart. Aber es könnte sein, dass man tatsächlich auf solche Dinge in Zukunft verzichten muss.
Jetzt könnte man sagen, der Wachstumszwang betrifft nicht nur den Kapitalismus, sondern der kommt aus der Disposition des Menschen, zumindest seit er sesshaft geworden ist, Landwirtschaft betreibt etc. Diese Angst, dass wir uns gegen den kommenden Hunger schützen müssen, dass wir Dinge aufhäufen, weil wir nicht wissen, wie es nächstes Jahr ist, ob der Winter hart wird, das erschwert das Aufhören doch auch, von dem Sie sprechen?
(Lacht) Ich amüsiere mich nur gerade, weil ich, als ich das erste Buch von (Yuval) Harari gelesen habe, dachte: Vielleicht ist die Vorstellung, dass die Menschheitsentwicklung nach vorne geht, ja schon mit der neolithischen Revolution widerlegt worden. Vielleicht war die Jäger-Sammler-Nummer einfach eine intelligentere Lebensform, und das Verhängnis fing mit dem an, was Sie gerade beschrieben haben... Aber nun gut, daran können wir ja auch nichts mehr ändern.
Es gibt Leute, die sagen, damals wurde das Patriarchat erfunden und der Weizen und das Gluten begannen ihre unsägliche Vorherrschaft. Meine Frage ist ja eher …
Wahrscheinlich sind die Gehirne auch kleiner geworden.
… möglich. Aber wenn Sie sagen, wir müssen die Kulturtechnik des Aufhörens stärken, dann ist meine Frage: Erschwert nicht unsere Disposition, wie sie seit der Sesshaftwerdung ist, genau das?
Ja, es kann sein, dass das alles schwierig ist. Aber das ist kein Argument dagegen, dass man es tun muss, wenn man es tun muss. Wir kommen mit dem, was wir gegenwärtig tun, nicht durch das 21. Jahrhundert. Das ist einfach klar. Unsere Gesellschaft ist wie ein Individuum, das im Sprechzimmer des Arztes sitzt und hofft, in einer Minute wieder draußen zu sein, mit den freundlichen Worten „Wir sehen uns dann in einem Jahr wieder." Aber stattdessen sagt der Arzt, „Setzen Sie sich doch bitte", dann fängt er an zu blättern in den Unterlagen und sagt: „Wir müssen heute doch ein bisschen länger reden, das Leben geht für sie jetzt nicht mehr so weiter, wie es bislang gewesen ist." In dieser Situation befinden wir uns gegenwärtig, mit unserem hervorragenden Erfolgsmodell, das aus Gründen der Naturzerstörung so leider nicht fortsetzbar ist.
Die Szene, die Sie gerade beschrieben haben, ist Ihnen selbst fast so ähnlich geschehen: Sie haben vergangenes Jahr einen Herzinfarkt gehabt, den Sie um ein Haar nicht überlebt hätten, in Ihrem Buch schildern Sie das sehr eindrücklich und auch mit Witz. Wenn wir Ihre Metapher fortführen: Brauchen wir als Gesellschaft erst einen Infarkt, um aufzuwachen und zu begreifen, dass wir wirklich etwas ändern müssen?
Dieser metaphorische Infarkt ist doch schon längst da! Nehmen Sie mal das Ereignis, mit dem ich das Buch beginne, die Havarie des riesigen Containerschiffes Evergiven im Suezkanal im Frühjahr diesen Jahres. Das Schiff stellte sich quer, weil der Kanal, der 1869 in Betrieb gegangen ist, nicht für ein Schiff mit 22.000 Containern drauf und 400 Metern Länge ausgelegt ist. Sofort staut sich links und rechts vom Suezkanal alles, überall in den Häfen bricht die Logistik zusammen, die Fabriken kommen ins Stocken, weil man ohne die ganzen Produkte und Vorprodukte und Teilprodukte nicht weitermachen kann. Ein anderes Beispiel für so einen Infarkt auf der metaphorischen Ebene sind die Flutereignisse, die wir in Deutschland im Sommer gehabt haben, oder die Brände: Die Krankheit herrscht bereits, das ist nicht etwas, was erst noch kommt.
Gewiss, nur: Etwas zu sehen und verstehen, ist offensichtlich noch nicht genug. Wir schaffen es trotzdem nicht, unsere Lebensweise zu ändern.
Ja, es ist aber auch etwas Unangenehmes, die Lebensweise zu verändern. Und es ist auch etwas sehr Unangenehmes, die Wirtschaftsweise zu verändern. Wir brauchen doch nur das Sondierungspapier der kommenden Koalition zu lesen. Das ist ein Dokument der Nichtveränderung. Die Botschaft dieser 12 Seiten ist: Nichts muss sich verändern, niemandem geht es an den Kragen. Wir werden keine Steuererhöhungen haben, keine Geschwindigkeitsbegrenzung, keine Veränderung in der Bildung. Wir versichern uns alle gegenseitig, dass wir nichts verändern wollen und delegieren unsere Hoffnungen an Techniker, Ingenieure und Zukunftstechnologien, die uns irgendwann die Rettung bringen werden. Aber wir brauchen unseren Arsch in keiner Weise zu bewegen und uns nicht einschränken. Das ist die große Lebenslüge unserer Gegenwart.
Der Wahlkampf der Grünen baute darauf auf, dass es nicht weniger Autos geben wird, sondern dass es andere Autos sein werden, wir werden nicht weniger reisen und fliegen, sondern anders fliegen. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben wohl vor ein paar Jahren einfach beschlossen: Anders ist es den Leuten nicht zu verkaufen.
Das ist die große Frage. Wenn ich Vorträge halte, etwa vor Unternehmerverbänden, und dann sage, dass es ohne Wohlstandsverluste keine wirkungsvolle Bekämpfung des Klimawandels, der Erderhitzung geben wird, dann ist das in solchen Kreisen durchaus diskussionsfähig. Auch dort wird die Inhaltsfreiheit des Wahlkampfes, den wir gerade erlebt haben, durchaus wahrgenommen und beklagt. Es ist also nicht so, dass wir alle in diesem Illusionsschlaraffenland leben, aber die Grünen haben sich irgendwann mal darauf kapriziert, dass, wenn man Mehrheiten haben will, dann darf man den Leuten nicht weh tun. Es ist eine interessante Frage, ob das politiktheoretisch überhaupt stimmt. Oder ob nicht die Leute, jedenfalls in relevanter Größenordnung, klüger sind und sagen, das Problem ist zu groß. Da müssen wir anders drüber sprechen. Da müssen wir auch andere Konsequenzen draus ziehen. Aber das wollen die Grünen nicht, solche Wahrheiten aussprechen, weil sie von der Mitte das Heil erwarten. Sie halten die Leute für genauso blöde, wie die anderen Parteien sie für blöde halten. Ich halte die Leute nicht für blöde.
Ihnen ist all das, was jetzt von den Grünen an der Regierung zu erwarten ist, nicht radikal genug?
Nein, mir geht es um die Veränderung des Pfades. Das ist noch nicht einmal radikal. Schon 1972 haben die Autoren der Club of Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums" genau das gefordert, eine Veränderung des Pfades, eine Richtungsänderung. Das ist nicht radikal, es geht ja nicht um eine Revolution. Sondern um die Einleitung von wichtigen notwendigen Schritten, anders zu wirtschaften, sich anders zu bewegen, vielleicht auch anders zu wohnen und so weiter.
In Ihrem Buch über das Aufhören erzählen Sie von mehreren Beispielen und Vorbildern, was das Aufhören angeht, Reinhold Messner, Künstler, Manager. Für mich klang das relativ privilegiert, diese Gesten oder diese Praxen des Aufhörens. Muss man sich das Aufhören leisten können? Jemand, der an der Supermarktkasse arbeitet, hat der diese ganzen Optionen, die Sie beschreiben?
Ich halte überhaupt nichts von diesem bevormundenden Gerede über Leute, die sich irgendwas nicht leisten können. Die Fähigkeiten zur Realitätsbewältigung und zum Finden von Lösungen sind in allen gesellschaftlichen Gruppen gleich groß oder gleich klein. Warum soll jemand, der das Pech hat, sein Geld an der Supermarktkasse zu verdienen, in seiner Fähigkeit mit irgendetwas aufzuhören, was schwachsinnig ist, schlechter sein als der Vorstandsvorsitzende eines Automobilunternehmens? Ich verstehe dieses Argument grundsätzlich nicht.
Gewiss, wenn es ein vorgeschobenes Strohmannargument ist. Trotzdem: Wer mit 1.400 Euro durchs Monat kommen muss, tut sich schwerer, Fleisch zu kaufen, das nicht auf Ausbeutung von Tieren und Tierleid beruht…
Zweifellos. Aber auf der anderen Seite hat so jemand eine viel größere Kompetenz mit wenig auszukommen als irgendwelche Leute, die das nur postulieren und dann mit dem Ferrari zum Bio-Markt fahren. Diese ganze Argumentation ist völlig schräg, zumal sozial schwächer Gestellte immer nur dann in Spiel kommen, wenn es um Veränderungen geht. Ansonsten niemals. Wir sollten uns an das alte Modell der Ideologiekritik erinnern und solche Sachen in dem Augenblick, in dem sie ausgesprochen werden, infrage stellen. Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Ich möchte wirklich mal eine ernsthafte Diskussion über die Prekarisierung von Menschen in unserer Gesellschaft haben. Julia Friedrichs hat dazu ein tolles Buch geschrieben über Arbeitsverhältnisse, wie sie heute herrschen, wo Leute geknechtet werden, verächtlich behandelt werden, beschissen verdienen, ihre Familien nicht ernähren können. Aber davon ist nur dann die Rede, wenn es darum geht, Dinge zu verändern. Das macht mich schon etwas wütend.
Wie sollen wir aufhören? Wie halten Sie persönlich es mit dem Aufhören? Bleiben Sie dabei, oder fallen Sie irgendwann zurück in alte Muster?
Der Nachruf auf mein zu lebendes Leben, den ich geschrieben habe, der hilft mir dabei, nicht wieder in die alten Muster zu fallen. Als solches Instrument muss man ihn auch verstehen: Dass man sich fragt, wer will ich gewesen sein, wie will ich gelebt haben? Wenn man das einmal aufgeschrieben hat, hat man so etwas wie eine Matrix, in die man zurückblättern kann, wenn man das Gefühl hat: Oh oh, ich habe mich jetzt doch wieder mal weit davon entfernt.
(Dieses Gespräch ist die längere Onlineversion eines Interviews, welches in der Printversion notgedrungen gekürzt werden musste.)
Zur Person
Harald Welzer, 63, ist Soziologe, Sozialpsychologe und Professor für „Transformationsdesign". Er hat Bücher zu zahlreichen Themen veröffentlicht, etwa zur Gedächtnisforschung, zum Nationalsozialismus und – in jüngster Zeit wieder- holt – zu den gesellschaftlichen Herausforderungen, die die Erderhitzung an uns stellt. Derzeit leitet er die Stiftung Futurzwei. Sein Buch Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens ist Anfang Oktober im S. Fischer Verlag erschienen.