Interview mit Peter Sloterdijk: „Wir stehen am Rande eines Großbrandes“


Philosoph Peter Sloterdijk „Wir stehen am Rande eines Großbrandes"

Interview | Berlin · Mit dem griechischen Gott Prometheus gelangte das Feuer in die Hände der Menschen. Mit fatalen Folgen: Die Menschen sind zu Brandstiftern geworden mit der schonungslosen Ausbeutung aller Energiequellen, sagt Peter Sloterdijk.

25.05.2023, 17:00 Uhr var(--tw-content)8 Minuten Lesezeit

Der Philosoph Peter Sloterdijk (75).

Foto: Antonia Jacobsen
Von Lothar Schröder Leiter der Kulturredaktion

Prometheus wird oft als der große Menschenfreund angesehen, weil er uns das Feuer brachte. Doch da er damit gegen ein strenges Verbot verstieß, wurde er von den Göttern, namentlich von Zeus, grausam bestraft – an den Kaukasus gefesselt und täglich von einem Adler gequält. Hingegen fragen wir – aus heutiger Sicht – ist die Gabe des Feuers wirklich so heilbringend gewesen?

Sloterdijk Der Zorn der Götter wurde nicht nur durch die Übertretung des von Zeus erlassenen Gesetzes erregt, er bezog sich auch auf die Tatsache, dass mit dem Feuer ein Teil der vormals herrschenden titanischen Energien den Menschen in die Hände fiel. Man vergesse nicht, die Olympier sind Götter zweiter Generation, ihr Regime war erst nach schweren Kämpfen durch die Entmachtung der älteren, der titanischen Kraft- und Gewalt-Götter errichtet worden. Mit Prometheus, der das Feuer vom Himmel stiehlt und den Menschen weiterreicht, kommt ein epochales Spiel mit einer mysteriösen Naturgewalt auf – eine Zündelei, deren Konsequenzen wir inzwischen vom gewaltträchtigen Ende her beobachten. Es war keine bloße Bildungsrhetorik, wenn nach dem Ersten Weltkrieg die Redeweise von einem neuen Zeitalter des Titanischen aufkam, etwa bei Ernst Jünger; auch dass man eines der größten Schiffe, die je gebaut wurden, bereits 1912 Titanic genannt hatte, spricht deutlich für den Geist und die Stimmung der Zeit. Man ließ die pure Maßlosigkeit vom Stapel laufen, einen schwimmenden Palast, der unterwegs mehr als 600 Tonnen Kohle täglich hätte verzehren sollen. Und wenn man heute seit einer Weile vom Anthropozän spricht, sollte den meisten, die mit dem Ausdruck hantieren, klar sein, dass in der Sache ein Pyrotechnozän gemeint ist.

Info Peter Sloterdijk diskutert mit Robert Habeck

Debatte Peter Sloterdijk wird über die Reue des Prometheus mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diskutieren: auf der Phil.Cologne am 9. Juni, um 18 Uhr im WDR-Funkhaus in Köln.

Das Buch Peter Sloterdijk: „Die Reue des Prometheus. Von der Gab des Feuers zur globalen Brandstiftung. Edition Suhrkamp, 80 Seiten, 12 Euro

… weil der exzessive Gebrauch des Feuers mit allen seinen Möglichkeiten der Energieerzeugung und Ressourcenvernichtung sich gegen den Menschen richtet und unsere natürlichen Lebensgrundlagen angreift.

Sloterdijk Wobei die Deutschen einen besonderen Zugang zur Feuerfrage haben, wie Schillers „Lied von der Glocke" es seit den Tagen der Klassik belegt: „Wohltätig ist des Feuers Macht, / Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht, / Und was er bildet, was er schafft, / Das dankt er dieser Himmelskraft". Die Warnung folgt: „Wehe, wenn sie losgelassen…", und gleich darauf ist die Rede von „ungeheurem Brand". Womit wir beim Thema wären.

Wenn die Menschen mit der vielfachen Nutzung des Feuers versuchen, die vormaligen Himmelskräfte zu imitieren, ist doch die eigentliche Gotteslästerung die Atomkraft, mit der man versucht, sich von der einfachen Verbrennung zu emanzipieren.

Sloterdijk Natürlich stellt auch die Nukleartechnik eine Art von Pyrotechnik dar, sie impliziert eine Superbrandstiftung, die bis an die Grundkräfte der Materie reicht. Da ist die Grenze zwischen Technik und Blasphemie hauchdünn geworden.

Über lange Epochen haben die Menschen nicht das ganze Arsenal der Feuertechnik ausnutzen können. Bis zur Industriellen Revolution hat man Segelschiffe und Windmühlen mit der Windkraft betrieben, die Flussmühlen mit Wasserkraft. Erinnert man sich jetzt wieder dieser wie Sie es nennen, pazifistischen Formen der Energiegewinnung?

Sloterdijk Das pyrotechnische Zeitalter überschreitet gegenwärtig seinen Höhepunkt. Auf die Frage, wann am meisten verfeuert wurde, heißt die Antwort: Eben jetzt. Und in den kommenden Jahrzehnten wird sich Zugriff auf die fossilen Brennstoffe zwar verschieben, doch nicht wirklich lockern. Das gibt den kommenden Jahrzehnten so etwas wie einen Endspielcharakter: Zwei Regime stehen einander gegenüber, auf der einen Seite das, was ich „energetischen Pazifismus" nenne, auf der anderen die weitergehende Pyrotechnik im Großen. Man wird nicht umhinkommen, dabei Partei zu ergreifen.

Partei ergreifen wir schon jetzt, allerdings oft auf widersprüchliche Art: Die Proteste gegen die Rodung des Regenwaldes sind laut und nachhaltig, die Klagen gegen die Ausbeutung der uralten unterirdischen Wälder, die zu Kohle und Öl geworden sind, erscheinen dagegen vergleichsweise klein.

Sloterdijk Tatsächlich haben sich die Menschen der Industrienationen in eine Organisation von Holzfällern und Brandstiftern gewandelt, die sich auf den „unterirdischen Wald" gestürzt haben – diesen Ausdruck hat der Öko-Historiker Rolf Peter Sieferle vor vierzig Jahren geprägt. Es gibt keinen besseren Begriff, um zu verdeutlichen, was seit dem Auftauchen der Verbrennungsmaschinen in den Jahrzehnten vor 1800 in Gang kam. Es scheint fast so, als hätte uns die Natur nach Millionen von Jahren die Dienste einer riesigen Köhlerei geleistet, indem sie unermessliche Reserven an organischen Substanzen aufbewahrte. Deren Nutzung in den Öfen und Motoren von heute markiert einen Sprung aus den Epochen der Urgewächse vor 500 Millionen Jahren in die menschliche Zeit: Das sehr Langfristige und Ahistorische wird hier mit dem Kurzfristigen, Flüchtigen, Dramatischen, Historischen direkt gekoppelt. Die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs macht man sich in der Regel nicht bewusst. Wir haben uns zu Zeitgenossen der Saurier gewandelt.

Und wir leben weiterhin und ziemlich unverdrossen in einem Zeitalter des Überflusses. Doch statt auf Beschränkung zu setzen, suchen wir angestrengt nach immer neuen Energiequellen …

Sloterdijk … was im Grunde nur bedeutet, dass Menschen nicht leicht dazu zu bewegen sind, habituell gewordene Verwöhnungen und Ermächtigungen wieder aufzugeben und mit reduzierten Kompetenzen zu existieren. Nur in Nachkriegszeiten scheint dergleichen für eine Weile möglich, dann greifen Verhältnisse relativer Gleichheit leichter um sich, danach öffnet sich die Schere der sozialen Unterschiede wieder. Dass wir seit Jahrzehnten wachsende Ungleichheiten beobachten, hat auch damit zu tun, dass bei uns der gleichmachende Effekt des Kriegs schon ein Dreivierteljahrhundert zurückliegt.

Obgleich die pyrotechnische Revolution mit ihren Entwicklungsschüben zumindest die Menschen der Ersten Welt von tradierten Unterdrückungsmechanismen befreite.

Sloterdijk Am deutlichsten ist das an der ziemlich alten Institution der Sklaverei zu zeigen. Schon in den antiken Imperien und Städten fing man Menschen ein, oft Kriegsgefangene, die man am Leben ließ, um sie als Staatssklaven, als Opfersklaven oder als Haushaltssklaven zu verwenden. Man hatte früh begriffen, dass der Besitz von Sklaven Entlastung brachte – die Last der schweren Arbeiten ging auf die dienende Klasse über. Mit der Entwicklung der modernen Maschinerie wurde der Sklave ersetzt. Die wirklich konsequente Abschaffung von Sklaverei wurde erst möglich, als mechanische Sklaven in Form der modernen Kraftmaschinen entwickelt wurden. Wir sind im Grunde fast allesamt entlaufene Sklaven, die sich unters Herrenvolk gemischt haben. Wir reiten zwar kaum noch, aber wir sind selber maschinenmächtig geworden – zumindest als Autofahrer. Das Automobil - da vor der Haustür - ist die Entsprechung einer mit 50 Pferden bespannten Kutsche, nur dass wir meistens selber die Kutscher spielen müssen, das ist der Preis der Demokratie.

Angesichts der Zeitnot, die zu einer möglichen Bewältigung der Krisen herrscht, sprechen Sie auch von radikalen Interventionen mit Überlegungen zu einer unvermeidlichen Klimadiktatur.

Sloterdijk Das sind wohl Gedanken, die sich vorschnell aufdrängen. Doch die Zeiten selbst sind verworren, die Dinosaurier sind die Propheten einer Wiederkehr des Ältesten. Ihr Einzug in die Kinderzimmer moderner Menschen ist von zivilisationsgeschichtlicher Bedeutsamkeit. Sie signalisieren den aktuell gewordenen Neo-Titanismus – und indirekt das Scheitern an der eigenen Übergröße. Aus christlicher Sicht schien ja das Problem des Rückfalls in die bloße Naturgeschichte gelöst: Nach der der Auslöschung durch die Flut hatte die Menschheit gewissermaßen einen Sintflut-Sperrvertrag mit Gott geschlossen. – dergleichen sollte sich nie mehr wiederholen dürfen. Aber jetzt sind es die menschlichen Konstrukte selbst, die durch ihre schiere Größe, ihre Riesenhaftigkeit, ihren maßlosen Konsum das Titanismus-Problem heraufbeschwören.

Welche Konstrukte sind das?

Sloterdijk Abstrakt gesprochen: Großstaaten und Großkraftwerke, konkret gesagt: Russland, China, Indien und die USA – wobei China die tragischste Figur abgibt. Als das bevölkerungsreichste Land der Erde hat es zugleich das größte Regierbarkeitsproblem. Nach Innen hin wird das Ruhighalten der riesigen Massen durch eine konsequente Industrialisierungsstrategie gesichert. Um eine Milliarde Chinesen halbwegs ruhig zu machen, ist eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die Wohlstandssteigerungen verspricht. Darum bewirkt das wahnhafte Programm der nachholenden Halbverwestlichung im Modus der Industrialisierung mit schwerindustriellen Mitteln, dass dort jährlich vier Milliarden Tonnen Kohle verbrannt werden – aufgrund eines angeblichen Rechts auf Umweltzerstörung durch den Spätankömmling. Daneben liegen die aktuellen deutschen Emissionen in kaum noch wahrnehmbaren Dimensionen. Das macht unsere eigenen so gut gemeinen Anstrengungen natürlich ein wenig lächerlich.

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Wenn die Zivilisation mit dem Feuer des Prometheus begann, wird die Zivilisation auch mit dem Feuer enden?

Sloterdijk Eher nicht. Die Fähigkeit der Menschen, natürliche Gegenstände in Metamorphosen zu verwickeln, wird sich ausweiten. Dafür stand bisher vor allem die Erhitzung durch Feuer – Metallurgien, Küchen und Chemielabore haben den kontrollierten Umgang mit der Naturkraft gelernt und gelehrt, das wird nicht verloren gehen. Die Methoden alternativer Energieerzeugung sind zur Stunde in einer explosiven Entwicklung. Die Sache im Ganzen ist nicht so aussichtslos, wie es oft dargestellt wird. Wir stehen am Rande eines Großbrandes mit Milliarden von Feuerstellen und dürfen doch hoffen, dass man ihn noch eindämmt.