Fox News: Wut schlägt Wahrheit | ZEIT ONLINE
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Fox News: Wut schlägt Wahrheit
Wut schlägt Wahrheit – Seite 1
Noch ist es dunkel. Am 25. Januar 2017, einem kalten Wintermorgen, witzeln sich die Moderatoren von Fox & Friends durch die Sendung. Es ist eine Show, die Donald Trump selten verpasst, immer wieder wird er von den Moderatoren direkt angesprochen. Der Präsident solle doch mal die Lichter an- und ausschalten, wenn er gerade zuschaue, schlagen sie an diesem Morgen gegen sieben Uhr vor. Dann sieht man das Weiße Haus. Und tatsächlich, in einem der Fenster beginnt das Licht zu flackern. Der mächtigste Mann der Welt ist schon wach! Die Moderatoren finden das irrwitzig komisch: "Oh my goodness, this is unbelievable!" – "Thank you, Mr. President". Kurz darauf folgt die Auflösung: Die Bilder waren ein Fake. Man wolle doch nur ein bisschen Spaß.
Tatsächlich offenbart diese scheinbar oberflächliche Blödelei eine bizarre Wahrheit – und enthält schon die ganze Geschichte. Sie handelt von einem Sender, der Tag für Tag Falschnachrichten und Nonsens in die Informationskreisläufe pumpt und diese dann endlos selbst kommentiert. Sie handelt von einem Präsidenten, der dabei von den frühen Morgenstunden an zuschaut, wie Analysen seines Medienkonsums zeigen. Und sie handelt davon, wie unter den Bedingungen des freien Marktes eine Art Staatsfernsehen entstanden ist – eine Propagandamacht, die Donald Trump, von ein paar Reibereien und Konflikten abgesehen, ergeben dient. Wie konnte es dazu kommen?
Am 7. Oktober 1996 geht Fox News auf Sendung. Rupert Murdoch, Medienunternehmer und Selfmade-Milliardär mit einem Hang zum Boulevard und einem entschiedenen Interesse an der Beeinflussung von Politik, hatte auf der Suche nach einem eigenen Nachrichtenkanal zunächst versucht, CNN zu kaufen, doch ohne Erfolg. Also verlegte er sich auf eine Neugründung. Sie gelingt ihm mit Roger Ailes, einem Fernseh-Aficionado und ultrakonservativen Spindoktor der ersten Stunde.
Bernhard Pörksen
ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Fellow des Thomas Mann House in Los Angeles. Zuletzt veröffentlichte er mit Friedemann Schulz von Thun das Buch "Die Kunst des Miteinander-Redens"
Ailes besitzt ein atemberaubendes Gespür für effektive Inszenierungen. Schon Richard Nixon hat er die Macht des Fernsehens erklärt. Ronald Reagan und George H. W. Bush haben sich ebenfalls von ihm beraten lassen. Politiker müssten immer auch Schauspieler sein, lautet sein Credo. Langeweile sei eine Todsünde auf dem Bildschirm. Von ihm, dem Mann des Spektakels, stammt die sogenannte Orchestergraben-Theorie der Medienwirkung. "Wenn man zwei Leute auf die Bühne stellt", pflegte der 2017 verstorbene Ailes zu dozieren, "und einer sagt: ›Ich habe eine Lösung für das Problem im Mittleren Osten‹, und der andere fällt in den Orchestergraben: Wer, glauben Sie, wird in den Abendnachrichten gezeigt?"
Als Rupert Murdoch und Roger Ailes vor bald 25 Jahren vor die Presse treten, um das Programm von Fox News zu erklären, geben sie sich kämpferisch, aber keineswegs schrill. Ja, man wolle zu einem entscheidenden Player aufsteigen, das schon. Aber bei allem geschäftlichen Ehrgeiz bleibe es doch das Ziel, eine verloren gegangene Objektivität im Journalismus wiederherzustellen, sagt Ailes.
"Fair and balanced" und "We report. You decide" sind die beiden schon damals einigermaßen verlogenen Leitsprüche, mit denen Fox News für sich wirbt. Objektivität meint hier, die angebliche Übermacht des "liberalen Medienmainstreams" durch Gegenpropaganda zu korrigieren. Ailes ist überzeugt: Das konservative, hart arbeitende, christliche, im Zweifel weiße Amerika brauche endlich einen eigenen Fernsehsender. Und er hat genau beobachtet, wie seit der Aufhebung der sogenannten Fairness-Doktrin im Jahr 1987 (einer Regelung, die die politische Ausgewogenheit von Radiobeiträgen sichern sollte) mit Rush Limbaugh der Typus des rechten, wüst polemisierenden Talkmasters zum Publikumsmagneten im Radiogeschäft aufgestiegen ist.
Bereits Ende der Vierzigerjahre hatten libertäre und ultrakonservative, an den Eliteuniversitäten des Landes ausgebildete Hardliner wie der Radiomacher Clarence Manion, der Publizist William A. Rusher, der Magazingründer William F. Buckley Jr. (National Review) und der Verleger Henry Regnery (Human Events) erkannt, dass man im Kampf um politische Macht über Massenmedien verfügen muss. Sie gründeten deshalb eigene Verlage, Magazine und Buchclubs, erfanden Radio- und Fernsehformate. Roger Ailes überträgt dieses Prinzip auf den umkämpften Markt der Kabelsender.
In ihrer fulminanten Ideengeschichte Messengers of the Right hat die US-Historikerin Nicole Hemmer 2016 gezeigt, wie ausdauernd schon diese konservativen Medienaktivisten der ersten Generation mit ihrer Angst vor staatlichem Dirigismus und kommunistischer Unterwanderung das Prinzip der journalistischen Objektivität und Neutralität attackierten. Dieses Ideal erschien ihnen als Ideologie, als Maskerade einer linksliberalen Meinungsindustrie.
Man zieht Spektakelthemen hoch
Mit der fortwährenden Rede von einem "liberal bias" popularisierten die konservativen Kritiker von damals ein wirkmächtiges Narrativ, das es ihnen erlaubte, sich zu Opfern und zu Repräsentanten einer schweigenden Mehrheit zu stilisieren. So konnten sie, egal wie mächtig sie wurden, eine Außenseiterposition behaupten und gegen das "Establishment" trommeln – und alles, was ihrer Weltsicht widersprach, als verzerrende Darstellung linksliberaler Meinungsmacher abtun. Schon die Herkunft einer Nachricht genügte als vermeintlicher Beleg dafür, dass es sich um eine Desinformation handeln müsse. Entsprechend richtete man die eigene Publizistik radikal am Primat der Parteilichkeit aus.
Diesem Programm eines ultrakonservativen Medienaktivismus folgt auch Roger Ailes. Mit einem entscheidenden Unterschied: Er kombiniert, wie bereits die Protagonisten des Talkradios, Ideologie und Entertainment, eben darin liegt sein Erfolgsrezept. Seine Star-Moderatoren – Medienaktivisten der zweiten Generation – haben nicht in Yale oder Harvard studiert, sondern wurden auf dem Boulevard sozialisiert. Erst diese Mischung aus Spektakel, politischem Furor und ideologiekonformem Relativismus verändert das Kommunikationsklima fundamental.
Das bedeutet nicht, dass bei Fox News nicht auch Journalisten arbeiten, die sich gegen Exzesse der Agitation und später auch gegen den Schwadroneur im Weißen Haus positionieren. Bret Baier, Chris Wallace und Shepard Smith (inzwischen nicht mehr beim Sender) gehören dazu. Aber ihre Stimmen fallen in der Summe nicht ins Gewicht. Sie haben eher Feigenblatt-Funktion. Prägend für den Sender ist die schrittweise Demontage des klassischen Journalismus mit seinem Bemühen um Faktizität und Fairness, Proportionalität und Relevanz. Man zieht Spektakelthemen hoch und berichtet in steter Routine von verkommenen Liberalen und brandgefährlichen Linken. Man lässt vermeintlich neutrale Experten auftreten, die tatsächlich von ultrakonservativen Lobbyorganisationen bezahlt werden. Und man verwischt die Grenze zwischen Nachricht und Meinung durch einen Stil bombastischer Ankündigungen, der als brisante Enthüllung verkauft, was bei näherer Betrachtung bloße Behauptung ist ("schlimmer als Watergate" – "der größte Skandal der amerikanischen Geschichte").
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Mehr AbotexteEine stichprobenartige Prüfung der Organisation PunditFact hat 2014 ergeben, dass bis zu 60 Prozent der von Fox-News-Moderatoren und ihren Talkgästen verbreiteten Aussagen weitgehend oder komplett falsch, wenn nicht sogar massive Lügen sind. Seit Jahrzehnten etwa lässt der Sender selbst ernannte Fachleute auftreten, die die Klimaforschung als Verschwörung von "Ökoterroristen" diffamieren. Die Folge: Nur zwölf Prozent der Fox-Zuschauer glauben, dass der Klimawandel primär menschengemacht ist (im Vergleich zu 62 Prozent der amerikanischen Gesamtbevölkerung). Fox News beeinflusst das Wahlverhalten mit solcher Fehlinformation gezielt zugunsten der Republikaner. Umfragen zufolge sind 78 Prozent der Zuschauer überzeugt, dass Trump mehr erreicht habe als irgendein anderer Präsident der US-Geschichte (eine Aussage, der sonst nur 17 Prozent der Amerikaner zustimmen).
In der Rückschau gibt es einige symptomatische Ereignisse, die die schrittweise Radikalisierung und spätere Trump-Fixierung von Fox News als ein Zusammenspiel von individueller Skrupellosigkeit und stramm konservativer Ideologie begreifbar machen, als ein Gemisch aus Quoten- und Erregungsgier.
2001: Nach den Anschlägen vom 11. September verschärft Fox News seine Attacken auf einen angeblich verweichlichten, unpatriotischen Journalismus, der sich nicht mehr traue, Terroristen auch Terroristen zu nennen. Es regiert nun dröhnende Kriegsrhetorik. Die Einschaltquoten schnellen in die Höhe. Fox News überholt in dieser Zeit CNN und wird zum meistgesehenen Kabelsender der USA.
2004: Die Angriffe auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry werden zum Musterbeispiel einer brutalen Schmutzkampagne. Kerry habe seine militärischen Auszeichnungen nicht verdient und über seine Rolle im Vietnamkrieg gelogen, heißt es bei Fox News. Das ist falsch. Aber was die von einem republikanischen Großspender finanzierten Vertreter der sogenannten Swift Boat Veterans for Truth ("Schnellboot-Veteranen für die Wahrheit") und ihre Unterstützer in Fox-News-Sendungen behaupten, zeigt trotzdem Wirkung. Swiftboating bezeichnet seitdem frei erfundene, gleichwohl vernichtende Lügenstorys.
Trumps Follower funktionieren als Quotentreiber
2008: Ein weiterer Markstein ist die Wahl Barack Obamas. Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an erscheint er im Kosmos von Fox News als der fremde, womöglich muslimische Präsident, der insgeheim den Sozialismus einführen will. Überdies liefert man der damals entstehenden Tea Party eine Plattform. Vorabberichte zu deren Großdemonstrationen ("You don’t want to miss it") wirken mitunter wie Werbeclips. Glenn Beck, auch er Fox-News-Moderator, tritt immer wieder als Einpeitscher auf Tea-Party-Veranstaltungen auf. Seine Fantasiebehauptung, Obama plane im Zuge der Gesundheitsreform sogenannte death panels, Todeskommissionen, die über den Entzug überlebenswichtiger medizinischer Maßnahmen entscheiden, wird immerhin von rund drei Vierteln der Fox-News-Zuschauer geglaubt.
Von 2011 an schließlich wirbt der Quotenbringer Donald Trump bei Fox & Friends für seine Reality-TV-Sendung The Celebrity Apprentice auf NBC. Gleichzeitig kolportiert er Woche für Woche die bizarre Annahme der Birther-Bewegung, Barack Obama sei nicht in den USA geboren und habe daher das Präsidentenamt zu Unrecht inne. Auch diese Auftritte markieren einen definierenden Moment in der Geschichte von Fox News: Sie illustrieren die Normalisierung von rassistischen Verschwörungstheorien, die prominente Moderatoren des Senders zuvor noch als idiotisch abgetan hatten. Zugleich werden hier die Auswirkungen der digitalen Revolution greifbar. Die bizarren Ideen der Birther diffundieren blitzschnell von randständigen Netzplattformen ins Zentrum des Diskurses. Fox News wird dabei, wie es Yochai Benkler, Robert Faris und Hal Roberts 2018 in ihrem Buch Network Propaganda schildern, zum Knotenpunkt in einem Ökosystem der Information, das nach seinen eigenen Regeln spielt.
Donald Trump gehört zu den Gewinnern dieser neuen, asymmetrisch organisierten Medienwelt. Auf der einen Seite der klassische Journalismus, idealerweise bereit zur Korrektur von Fehlern. Auf der anderen ein Geflecht aus ultrakonservativen Radiosendern und rechten Hass-Portalen, die sich wechselseitig aufputschen – mit Fox News in ihrer Mitte. In diesem Paralleluniversum einer radikal parteiischen Publizistik ist Fairness eine Schwäche und die Spaltung der Gesellschaft Geschäftsmodell und Lebenselixier. Hier weiß man: Die Angsterzählungen von islamistischen Terroristen, kriminellen Einwanderern und marodierenden Anarchisten binden die Aufmerksamkeit. Und: Wut funktioniert besser als Wahrheit.
In der Phase von Trumps Nominierung 2015 wirken die Medien der extremen Rechten wie Breitbart, The Gateway Pundit, One America News als Treiber. Sie feiern mit der kompromisslosen Unterstützung des permanent provozierenden Kandidaten immer neue Aufmerksamkeitsrekorde. Roger Ailes und andere Entscheider bei Fox News beobachten dies intensiv und ziehen schon bald Konsequenzen. Als die Moderatorin Megyn Kelly Donald Trump im Sommer 2015 seine frauenfeindlichen Äußerungen vorhält, kommt es zu einem paradigmatischen Konflikt: Trump beschimpft die Moderatorin – und straft Fox News kurzfristig mit Auftrittsboykott. Die Quoten brechen ein. Roger Ailes gibt schon nach ein paar Tagen klein bei und verspricht eine "faire" Berichterstattung, wie Trump öffentlich verkündet. Der Sender unterstützt seine Kandidatur fortan nach Kräften. Ailes stürzt im Juli 2016 seinerseits über eine Klage wegen sexueller Belästigung. Donald Trump hingegen regiert am Ende eines maximal schmutzigen Wahlkampfes im Weißen Haus.
Gelegentlich ärgert er sich auch danach noch über die Kritik des Senders. Und mitunter gibt es missliebige Berichte, die wie ein Aufflackern einer weitgehend erloschenen journalistischen Identität wirken. Trump twittert dann entgeistert: "Fox arbeitet nicht mehr für uns!" Aber in der Gesamtschau zeigt sich ein anderes Bild. Der Präsident und sein Sender existieren in einer verstörenden Symbiose. Mal gibt Trump den Takt vor, mal ein Fox-News-Mann, der streng in Richtung Washington mahnt: "Mr. President, this is not the way to go!" Beide Seiten spielen sich Formulierungen zu, Hinweise auf vermeintliche Skandale und angebliche Verschwörungen, die zur Ablenkung und zur Gegnerdiffamierung taugen, wie Langzeitrecherchen des New Yorker und der New York Times dokumentieren. Einzelne Sendungen kommentiert Trump in Echtzeit via Twitter. Seine mehr als 87 Millionen Follower funktionieren längst als Quotentreiber.
Auch personell sind Fox News und das Weiße Haus miteinander verflochten. Trump lässt sich von Sean Hannity beraten, einem ihm ergebenen Moderator, mit dem er angeblich täglich spricht; bis vor Kurzem erklärten die beiden die Corona-Pandemie zu einem Schwindel der Demokraten. Trumps einstiger Kommunikationsdirektor Bill Shine war Vize-Chef bei Fox News, heute unterstützt er ihn offiziell im Wahlkampf. Ehemalige Sprecherinnen des Weißen Hauses wie Sarah Huckabee Sanders ("Ich liebe den Präsidenten!") sind für den Sender tätig oder nach Ausflügen zu Fox News wieder in das Beraterteam des Präsidenten zurückgekehrt wie Hope Hicks. Man kooperiert in dem Wissen, dass man einander braucht. Und Trump ist jetzt zweierlei: ein Geschöpf und eine Art Programmdirektor des Senders, Hybridfigur aus Reality-TV-Star und Internet-Troll, skrupellos, verlogen, aber mit wunderbaren Quoten, gefeiert von Journalisten, die keine mehr sind und die die Ideale ihrer Profession verachten.
Wer letztlich wen bestimmt? Schwer zu sagen. Es ist eine frei drehende Propagandashow, die hier entstanden ist, eine Fusion von Pseudojournalismus und Pseudopolitik, losgelöst von der Tatsachenwelt und regiert von dem unbedingten Willen zur Macht.
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