Fehler in Beziehungen: „Liebe allein reicht nicht. Liebe ist kein Argument“
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Fehler in Beziehungen: „Liebe allein reicht nicht. Liebe ist kein Argument"
Joan Minder/ImagoThomas Meyer ist Autor und Trennungscoach.
- FOCUS-online-Redakteurin Anna Schmid
„Trennt euch!" - so heißt ein Buch des Schweizer Autors Thomas Meyer. Er sagt: Wir schauen nicht genau hin, wenn wir jemanden kennenlernen. Worauf wir seiner Meinung nach achten müssen, um eine funktionierende Beziehung zu führen.
FOCUS online: Herr Meyer, Sie beschäftigen sich hauptberuflich mit Trennungen. Warum?
Thomas Meyer: Ich beschäftige mich hauptberuflich mit Texten. Nebenberuflich setze ich mich mit Trennungen auseinander, seit mein Buch „Trennt euch!" vor sechs Jahren erschienen ist und mir immer wieder Menschen geschrieben haben, die Rat suchen.
Der Titel ist ziemlich pessimistisch.
Meyer: Im Gegenteil. Das Buch ruft dazu auf, sich aus schlechten Beziehungen zu lösen und sich dadurch freizumachen für gute Beziehungen.
Warum haben Sie es geschrieben?
Meyer: Ich finde Beziehungen faszinierend. Warum machen wir Menschen zu unseren Partnern, die gar nicht zu uns passen? Warum erleben wir alle immer wieder ähnliche Dinge, was Beziehungen und deren Ende angeht? Wir beginnen Partnerschaften mit den besten Absichten, und sie enden oft im Desaster.
Und warum wählen wir so schlecht?
Meyer: Weil wir nicht genau hinschauen. Wenn wir einander kennenlernen, führen wir meistens kein tiefgreifendes Interview. Wir fragen nicht: Was sind deine Werte, was hast du für Schwächen, was hast du in deiner Kindheit für schlimme Dinge erlebt? Das wird alles nicht behandelt. Jeder zeigt sich von der besten Seite, und schon fangen wir eine Beziehung an. Das ist grob fahrlässig.
Wie lange braucht man denn, um herauszufinden, dass es nicht passt?
Meyer: Eine Woche. Vielleicht zwei.
Und warum machen viele dann trotzdem weiter?
Meyer: Weil sie den anderen Menschen ja mögen und möchten, dass es funktioniert. Und weil sie glauben, dass er sich ändern kann. Sie reden sich ein, die Inkompatibilität wäre klein und ihr Einfluss darauf groß.
Das müssen Sie genauer erklären.
Meyer: Beziehungen funktionieren nur dann, wenn wir unserem Partner in den zentralen Aspekten ähnlich sind. Es braucht einen ähnlichen Humor, eine ähnliche politische Haltung, ähnliche Lebensumstände und ähnliche Bedürfnisse.
Sonst entstehen permanente Machtkämpfe, denn solche Differenzen erzeugen Stress, und den versuchen wir dadurch zu beseitigen, indem wir versuchen, die Differenzen zu beseitigen, also den Partner zu ändern. Und das geht nicht.
Allein deswegen schon nicht, weil der ja genau gleich vorgeht. Auch er leidet unter der zu großen Verschiedenheit. Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Punkt, der Beziehungen erschwert: die unbewältigten Kindheitsverletzungen.
Wie meinen Sie das?
Meyer: Wir alle haben als Kind Situationen erlebt, die schmerzhaft oder bedrohlich waren. Werden wir daran erinnert, entsteht emotionaler Stress. Habe ich in meiner Kindheit zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass meine Meinung nicht zählt und man mich nicht ernst nimmt, werde ich als Erwachsener empfindlich und wütend reagieren, wenn ich mich übergangen fühle.
Wenn wir eine funktionierende Partnerschaft führen wollen, müssen wir also nicht nur darauf achten, dass wir uns mit jemandem zusammentun, der uns in den zentralen Dingen ähnlich ist, sondern auch, dass dieser Mensch sich seiner alten Traumata bewusst ist – und sie nicht auf uns projiziert.
4 von 5 Paaren sollten sich trennen, sagen Sie. Lohnt es sich nicht, um eine Beziehung zu kämpfen?
Meyer: Das ist keine Erhebung, sondern es war die Antwort auf eine Interviewfrage, die mir ein Journalist einst gestellt hat. Ich wollte damit nur sagen, dass es sehr viele sind. Wer um eine Beziehung kämpfen will, ist meist schon in einer schlechten Lage.
Die muss aber nicht zwingend zur Trennung führen, denn wie gesagt melden sich sehr oft Kindheitsverletzungen, und wenn wir Trennungsgedanken haben, ist das oft dem Wunsch geschuldet, nicht ständig an alten Schmerz erinnert zu werden.
Man kann dann schon gehen. Aber den Schmerz nimmt man mit in die nächste Partnerschaft. Wir schauen meist auf den Partner, wenn was schiefläuft, aber wir müssen auch bei uns selbst hinschauen.
Und was kam bei Ihrer Selbstbeobachtung heraus?
Meyer: Es gibt Schutzmechanismen, die als Kinder lebenswichtig waren, die uns als Erwachsene aber in unseren Beziehungen blockieren. Die einen werden aggressiv, die anderen ziehen sich zurück, wieder andere überspielen ihre Ängste mit Fröhlichkeit. Meine Taktik war Rückzug.
Irgendwann musste ich mich fragen: Trenne ich mich, weil es wirklich nicht passt, oder weil ich mich zu sehr wie ein schutzloses Kind fühle? Und habe ich wirklich alles versucht, mich meiner Partnerin verständlich zu machen – und ihr umgekehrt alle Chancen gegeben? In der neuesten Auflage meines Buches habe ich für diese Überlegung ein neues Kapitel verfasst.
Sie treten also von „Trennt euch!" zurück.
Meyer: Nein. Jede und jeder hat das Recht und die Pflicht aufzuhören, wenn es nicht mehr geht. Gerade, wenn Kinder im Spiel sind. Die leiden unter der elterlichen Missstimmung noch mehr.
Ich sehe die Sache aber mittlerweile differenzierter, weil ich durch all die Gespräche und Coachings festgestellt habe, dass Beziehungsprobleme oft Kommunikationsprobleme sind.
Dass es also manchmal durchaus passen würde, wir es aber verunmöglichen durch althergebrachte Verteidigungsmechanismen. Bevor wir uns also trennen, müssen wir uns ganz genau fragen, wovon wir uns genau lösen wollen.
Wie können Menschen mit unbewältigten Traumata denn glückliche Beziehungen führen?
Meyer: Indem wir uns diese Traumata bewusstmachen. Indem wir uns, wenn in der Beziehung heftige Emotionen ins uns hochkommen und wir den Impuls spüren, uns massiv zu verteidigen, kurz fragen: Was passiert jetzt da genau?
Wurde ich wirklich angegriffen, oder fühle ich mich bloß so? Ist mein Partner, meine Partnerin, wirklich ein so schlechter Mensch, wie ich gerade glaube? Das ist furchtbar anstrengend, aber im Idealfall ist unser Gegenüber jemand, der uns dabei hilft.
Kann sich eine kompatible Beziehung auch in eine inkompatible verwandeln?
Meyer: Kompatibilität heißt ja, dass es passt, dass man einander also versteht und sich wohlfühlt miteinander. Individuelle Entwicklungen können aber auch so verlaufen, dass es nicht mehr passt. Die erste Beziehung, die wir geführt haben, würde heute ziemlich sicher nicht mehr funktionieren.
Ist es dann wichtig, sich gemeinsam in dieselbe Richtung zu entwickeln, über die Zeit?
Meyer: Ja, denke ich schon. Eine Beziehung ist das Ergebnis davon, jeden Tag „Ja" zueinander zu sagen. Sie ist aber auch das Ergebnis von viel Arbeit. Kommunikativer Arbeit. Wenn einer nicht mehr reden mag – tendenziell betrifft das eher die Männer – wird es praktisch unmöglich, eine ernsthafte Beziehung zu führen.
Welche Rolle spielt Liebe?
Meyer: Eine große. Sonst entstehen Beziehungen ja gar nicht. Liebe allein reicht aber nicht. Liebe ist kein Argument. Nach einer Trennung, die nicht von mir ausging, hatte ich meiner Expartnerin verzweifelt gesagt: Aber ich liebe dich! Als wäre das die Trumpfkarte.
Liebe ist Zugewandtheit auf mehreren Ebenen, sie ist auch ziemlich stabil, aber eben auch sehr impulsiv. Man kann sich an einem Abend in jemanden verlieben, aber in diesem Zeitraum erfährt man nicht genug, um herauszufinden, ob es passt.
Nach meiner letzten Trennung war ich 45 und hatte keine Lust mehr auf weitere Enttäuschungen. Ich nahm mir also vor, beim nächsten Mal richtig genau hinzuschauen, bevor ich mich einlasse, und mir grundsätzlich mal ganz klar Gedanken zu machen, was mir wichtig ist in einer Beziehung und was ich nicht akzeptieren kann.
Wird man so nicht zu wählerisch?
Meyer: Wenn auf meiner Liste steht, dass meine Partnerin brünett sein muss, dann ist das natürlich oberflächlicher Quatsch. Es geht um das persönliche Wohlgefühl. Ich will, wenn ich morgens neben meiner Partnerin aufwache, denken: Hurra, ein weiterer Tag mit ihr!
Was brauche ich also, damit ich dieses Gefühl habe? Die meisten Beziehungen sind leider frei von diesem Gefühl. In meinen Coachings sagen viele, ihre Partnerschaft sei streitbelastet, trist, kalt, distanziert. Das finde ich furchtbar. Eine Beziehung soll dazu da sein, dass wir uns geborgen fühlen und blühen können.
Was war das Schönste, das Sie in Ihren Coachings erlebt haben?
Meyer: Ich finde es schön, wenn sich jemand erlaubt, einen Weg zu gehen, der schwierig ist, aber den eigenen Bedürfnissen entspricht. Wenn jemand in einer schrecklichen Beziehung ist und entscheidet, zu gehen, dann ist das natürlich nicht schön. Aber derjenige sagt auch: Ich bin es mir wert, mir das nicht länger anzutun. Das ist ja die interessante Frage: Warum lassen viele Menschen schreckliche Dinge so lange stehen?
Und was ist die Antwort?
Meyer: Das führt uns zurück zum Anfang. Sie hoffen, dass sich alles zum Guten wendet. Sie glauben an ihre Überzeugungskraft. Sie denken, es gibt diesen einen Satz, der dazu führt, dass der andere alles einsieht. Und das ist nichts anderes als Wunderglauben und Selbstüberschätzung.
Es gibt aber auch Extremfälle, in denen Menschen glauben, es sei nicht nur normal, dass sie schlecht behandelt werden, sondern verdient. Oder sogar hilfreich. Jemand fragte mich, ob seine Frau, die ihn massiv verbal misshandelte, nicht die beste Lehrerin sei, ein besserer Mensch zu werden – schließlich habe sie ja vielleicht recht.
So spricht aber nur jemand, der seinen Selbstwert verloren hat, und wenn das passiert ist, muss die Beziehung beendet werden. Ich habe mich mehrmals getrennt, weil ich nicht so behandelt wurde, dass ich ein gutes Selbstgefühl hatte. Und so bin ich letztlich in eine wirklich liebevolle Beziehung gekommen. Das ging nur dank der vorangegangenen Trennungen und der Auseinandersetzung damit.