Erdgeschichte: Das sechste Massenaussterben - Spektrum der Wissenschaft
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Erdgeschichte: Das sechste Massenaussterben
Erdgeschichte Nach dem Weltuntergang
Vor 66 Millionen Jahren schlug im Golf von Mexiko, nahe der heutigen Ortschaft Chicxulub Pueblo, ein Asteroid mit rund zehn Kilometer Durchmesser ein. Der Treffer löste wohl augenblicklich kilometerhohe Tsunamis aus, die ganze Kontinente unter sich begruben. Verheerende Brände folgten, Rauch und Staub verdunkelten über Monate den Himmel. Infolgedessen starben etliche Tiere aus, darunter die Dinosaurier und Ammoniten, die rund 190 beziehungsweise 340 Millionen Jahre lang die Erde bevölkert hatten.
Heutzutage spürt man von diesem Ereignis nichts mehr, unser Planet ist voller Leben. Denn wie bei allen fünf großen Massenaussterbeereignissen der Erdgeschichte (siehe »Die großen Fünf«), ging zwar ein Großteil der biologischen Arten zu Grunde, anschließend entstanden aber neue, mindestens ebenso vielfältige Lebenswelten. Langsam fängt die Fachwelt an zu verstehen, wie sich die weltumspannenden Katastrophen auf die Evolution auswirkten und wie sich die Ökosysteme jeweils erholten. Aus den Erkenntnissen versucht sie, Schlüsse auf den aktuellen, menschengemachten Faunenschnitt zu ziehen und folgende Frage zu beantworten: Wie wird das Leben auf unserem Planeten in Zukunft aussehen?
Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum der Wissenschaft 7/2021
Die bisherigen Massenaussterben resultierten aus extremen Umweltereignissen, an die sich Pflanzen und Tiere nicht ausreichend schnell anpassen konnten. Das war beim außergewöhnlich großen Asteroiden so, der vor 66 Millionen Jahren auf der Halbinsel Yukatan im heutigen Mexiko einschlug und den Übergang des Erdmittelalters zur Erdneuzeit markierte. Oder bei den heute unvorstellbar heftigen vulkanischen Aktivitäten vor rund 200 Millionen Jahren, die am Ende der Trias zu einer drastischen Klimaveränderung führten, was zahlreiche Arten auslöschte. Und auch bei der Aussterbewelle am Ende des Perms vor 252 Millionen Jahren, bei der ein extremer Temperaturanstieg die Umweltbedingungen derart stark veränderte, dass es wohl zur schwerwiegendsten Extinktion aller Zeiten kam: Innerhalb weniger zehntausend Jahre verschwanden über 90 Prozent aller Meerestiere.
Alle diese Ereignisse führten dazu, dass sich die Besetzung des Lebens maßgeblich änderte: Wer die Hauptrolle gespielt hatte, trat in der Regel für immer ab. Berühmtestes Beispiel sind die Dinosaurier, die mehr als 100 Millionen Jahre lang die Fauna der Erde beherrschten, um dann komplett zu verschwinden. Sie überließen die Bühne zwei Arten von Wirbeltieren, die bis dahin nur unauffällige Nebenrollen innegehabt hatten: einer kleineren Gruppe fliegender Dinosaurier – den späteren Vögeln – und den Säugetieren. Doch auch die Dinosaurier waren in ihrer Anfangszeit nur eine Reptiliengruppe unter vielen. Erst das Massensterben in der zu Ende gehenden Trias fegte zahlreiche Konkurrenten hinweg und ebnete den Weg für ihre lang anhaltende Dominanz.
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Katastrophen zerstörten mindestens fünfmal große Teile der Artenvielfalt unseres Planeten. Im Anschluss entstanden jeweils neue, andersartige Pflanzen- und Tierwelten.
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Bis sich allerdings neue, vielfältige Ökosysteme ausbilden, in denen neben den überlebenden Arten neue Spezies entstehen, dauert es viele Millionen Jahre.
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Auf Grund der beispiellosen Ausbeutung der Natur sind wir mitten im sechsten großen Massenaussterben. Die vorangehenden fünf liefern Hinweise darauf, wie sich Biodiversität und Ökosysteme entwickeln könnten.
Fachleute fragen sich in diesem Zusammenhang, was die überlebenden Spezies auszeichnet. Ein paar Grundprinzipien haben sie inzwischen ausgemacht: Auf dem Festland wirkt sich der so genannte Liliput-Effekt aus. Das bedeutet, dass kleinere Tiere in solchen Krisen üblicherweise im Vorteil sind. Am Ende der Kreidezeit zum Beispiel verschwanden mit wenigen Ausnahmen alle Tierarten von der Erdoberfläche, die größer waren als ein mittelgroßer Hund. In normalen Zeiten ist ein gewisses Körpermaß durchaus günstig, etwa um sich vor Fressfeinden zu schützen. Allerdings brauchen solche Arten reichlich Nahrung, und die ist während einer Naturkatastrophe Mangelware.
Gleichermaßen benachteiligt sind Tiere, die sich sehr speziell ernähren oder nur in eng begrenzten ökologischen Nischen überleben können. In einer Krise ist stattdessen etwas anderes gefragt: Flexibilität, was die Nahrungsquellen angeht, ein großes Maß an Mobilität und hohe Fortpflanzungsraten.
Die großen Fünf
1 Eisiger Neuanfang
Vor 450 bis 440 Millionen Jahren, am Ende des Ordoviziums, ging erstmals ein Großteil der Artenvielfalt verloren. Im vorangehenden Kambrium hatten sich in den Ozeanen fast alle wichtigen Tierstämme explosionsartig entwickelt: Gliederfüßler, Schwämme, Stachelhäuter sowie Weich- und Wirbeltiere. Im Ordovizium entfaltete sich dann im Wasser eine immer größer werdende Bandbreite an Arten. Wegen extrem hohen Kohlenstoffdioxidkonzentrationen war es zunächst ungewöhnlich heiß. Da der Superkontinent Gondwana in Richtung des Südpols driftete, begannen jedoch riesige Landflächen mehr und mehr zu vereisen. Infolgedessen sank der Meeresspiegel dramatisch, und zusätzlich brach klirrende Kälte über die Erde herein. Das führte letztlich dazu, dass rund 85 Prozent aller damals lebenden Arten verschwanden.
2 Katastrophe mit Fragezeichen
Vor 372 bis 359 Millionen Jahren kam es zum so genannten Kellwasser-Ereignis, benannt nach einer Fossilienfundstätte. In den Meeren tummelten sich Fische, und erste Tiere begannen die bereits grünen Landflächen zu erkunden. Weshalb es zum Untergang kam, ist ungewiss. Vermutlich spielten Faktoren wie Sauerstoffarmut in den Ozeanen, Vulkanausbrüche und sinkende Kohlenstoffdioxidkonzentrationen zusammen, woraufhin das Klimasystem kippte. Spekuliert wird auch über Asteroideneinschläge oder gar eine erdnahe Supernova. 50 bis 75 Prozent aller Arten gingen verloren, insbesondere etliche Fische und Korallen. 13 Millionen Jahre später kam es wahrscheinlich an der Schwelle zum Karbon zu einem weiteren Massenaussterben, das nicht zu den großen Fünf zählt. Anschließend waren bis zu 90 Prozent aller Meerestierarten ausgestorben, während die Pflanzen bemerkenswert wenig unter den Katastrophen gelitten haben.
3 Verheerender Ausbruch
Vor 252 Millionen Jahren, beim Übergang des Perms zur Trias, änderte sich die Erde so einschneidend wie wohl bei keinem anderen Faunenschnitt. Mehr als 90 Prozent aller Fossilien bildenden Arten wurden ausgelöscht. Dazu zählten unter anderem die letzten verbliebenen Trilobiten, das sind meeresbewohnende Gliederfüßer. Doch es traf dieses Mal auch die Landtierarten: Rund drei Viertel davon starben aus, sogar Insekten. Zusätzlich ging ein Großteil der Vegetationsbedeckung verloren, die Landpflanzen erholten sich indessen mehrheitlich. Als Auslöser für den Zusammenbruch fast aller Ökosysteme vermuten Fachleute gewaltige Vulkanausbrüche in Sibirien. Über mehrere hunderttausend Jahre wurden riesige Flächen mit Lava geflutet, ganze Landstriche abgebrannt und ungeheure Mengen an Treibhausgasen freigesetzt.
4 Untergang der Kegelzähne
Am Übergang von Trias zu Jura verschwanden vor 201 Millionen Jahren drei Viertel aller Arten von der Erdoberfläche. Von den Riffen blieben nur wenige Prozent übrig. Restlos vernichtet wurden die Conodonta (griechisch für »Kegelzähne«), die mindestens 340 Millionen Jahre die Ozeane bevölkert hatten. Die versteinerten Überbleibsel, die den harten Kegelzahnapparat zeigen, zählen heute zu den wichtigsten Leitfossilien des Erdaltertums. Die wenigen Weichkörperfossilien weisen auf einen aalförmigen Körper hin. Vom Festland verschwanden mit Ausnahme der Krokodile sämtliche großen Crurotarsi, das ist eine Gruppe von Archosauriern. Der Auslöser des Massenaussterbens ist nicht geklärt. Vermutet werden unter anderem ein Asteroideneinschlag oder starke Schwankungen des Meeresspiegels. Als wahrscheinlicher gilt jedoch, dass auch hier eine außerordentliche vulkanische Aktivität die Hauptschuld trägt.
5 Fataler Treffer
Die überwiegenden Opfer des Massenaussterbens am Übergang der Kreidezeit zum Paläogen vor 66 Millionen Jahren sind wohl die prominentesten überhaupt: die Dinosaurier. Aber auch die Ursache dafür ist spektakulär: Ein Asteroid mit 10 bis 15 Kilometer Durchmesser, der die Halbinsel Yukatan in Mexiko traf – wahrscheinlich der härteste Schlag, den die Erde während der letzten 600 Millionen Jahre abbekam. Die als Impakt-Hypothese bekannte Theorie gilt mittlerweile als gesichert. Der Einschlag (vielleicht waren es sogar mehrere) gekoppelt mit stark erhöhten vulkanischen Aktivitäten löste verschiedenste Umweltveränderungen aus, die Zeiträume von wenigen Tagen bis zu mehreren hunderttausend Jahren umfassten. Fauna und Flora änderten sich infolgedessen tief greifend, und wahrscheinlich gingen knapp 60 Prozent aller Arten zu Grunde. Immerhin: Die heutigen Vögel stammen direkt von den Dinosauriern ab.
Quelle:MacLeod, N.: Arten sterben. Wendepunkt der Evolution. wbg Theiss, 2016
Die Vorteile der Muscheln
Als Paradebeispiel für mangelnde Anpassungsfähigkeit führt Jonathan Payne von der Stanford University die Armfüßer (Brachiopoda) an, die am Ende des Perms von den Muscheln (Bivalvia) abgelöst wurden. Obwohl Muscheln und Armfüßer anatomisch verschieden und auf einem unterschiedlichem evolutionären Entwicklungsstand sind, vermag das Laienauge sie kaum zu unterscheiden: Beide haben ein zweiklappiges Gehäuse, sie leben unter Wasser und ernähren sich von organischem Material, das sie aus dem Wasser herausfiltern. Vertreter der Bivalvia sind heute weit verbreitet und uns gut vertraut: zum Beispiel Miesmuscheln, Venusmuscheln, Austern sowie ihre Artverwandten. Im Gegensatz dazu existieren von den Brachiopoda nur noch wenige Spezies in geringer Anzahl in dunklen, kalten Gewässern.
Im Paläozoikum waren die Armfüßer den Muscheln hingegen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nach dem Massenaussterben am Ende des Perms kehrte sich das um. Das lag daran, so Payne, dass die Muscheln einen deutlich dynamischeren Stoffwechsel und variableren Lebensstil aufweisen. Die Tiere können sich bewegen, manche sogar vor Feinden fliehen, sie vergraben sich im Sand und ernähren sich von Sedimenten. Das alles können Armfüßer nicht. Über Jahrmillionen stellten diese Defizite kein Problem dar, erst während der Krise wurden sie ihnen zum Verhängnis.
Anfang der 2000er Jahre formulierte David Jablonski von der University of Chicago die These, jedes Massenaussterbeereignis folge einer nicht konstruktiven Selektivität. Gemeint ist vereinfacht gesagt, dass das Überleben einer Spezies nicht notwendigerweise etwas mit seiner Biologie zu tun hat, aber auch nicht komplett zufällig geschieht. Der wichtigste Faktor für den Fortbestand einer Art ist ihre geografische Verbreitung. Das hat einen einfachen Grund: Ein Ereignis, das zum Faunenschnitt führt, trifft eigentlich nie alle Regionen der Erde gleichermaßen. Kommen also Vertreter der Spezies in allen Teilen der Welt vor, dürften vermutlich wenigstens einige Exemplare durchkommen – zumal diese in der Regel unter verschiedenen Umweltbedingungen überleben können. Spezies, die hingegen auf nur eine Region, zum Beispiel eine Insel, begrenzt sind, sterben viel eher aus. Gleichwohl gibt es auch andere Verläufe, etwa bei der Extinktion am Ende der Trias, bei der alle an Land lebenden Spezies größtenteils nicht betroffen waren.
Anders als die Ursache eines Massenaussterbens, das meist ein plötzliches Ereignis von kurzer Dauer ist – etwa ein Asteroideneinschlag –, erstreckt sich die anschließende Erholungsphase über viele Millionen Jahre. Aus einer 2018 im Fachmagazin »Nature« erschienenen Forschungsanalyse von Sedimentgestein des Chicxulub-Kraters auf der Halbinsel Yukatan geht zwar hervor, dass schon wenige Jahre nach dem Einschlag erneut erste wirbellose Tiere den Ort des Geschehens besiedelten. Auch tummelte sich bereits 30 000 Jahre später wieder eine vergleichsweise große Anzahl von Lebensformen am Meeresboden. Allerdings entsprach diese Artenvielfalt noch lang nicht dem Niveau von vorher. Der Kohlenstoffkreislauf und die pH-Werte der Gewässer brauchen nach einem solchen Ereignis mehr als eine Million Jahre, um sich wieder auf ein normales Maß einzupendeln. Und bis sich dann abermals ein Artenreichtum einstellt, der mit dem davor vergleichbar ist, dauert es viele weitere Millionen Jahre.
Das liegt vor allem daran, dass die Rückkehr zur Normalität nur mittels funktionierender Ökosysteme gelingt. Denn es braucht stabile Bedingungen, damit sich neue Arten entwickeln können. Nach jedem Massenaussterben waren diese Systeme jedoch zerstört, da große Teile des Artenbestands fehlten; nach dem Asteroideneinschlag am Ende der Kreidezeit betraf das zum Beispiel alle großen Fleisch oder Pflanzen fressenden Dinosaurier. Stattdessen beherrschten einige wenige, sehr anpassungsfähige Spezies die Erde: die »Disaster Taxa« oder Katastrophenarten. Unmittelbar nach der Vernichtungswelle am Ende des Perms gehörten über 90 Prozent der Wirbeltiere an Land einer einzigen Gattung an, Lystrosaurus, einem entfernten Verwandten der Säugetiere, während auf dem Meeresboden ausschließlich die zweiklappige Muschelgattung Claraia lebte. In den ersten Jahrtausenden nach dem Asteroideneinschlag dominierten anpassungsfähige Pflanzen wie Farne die Vegetation. Das bedeutet: Die übrig gebliebene Tier- und Pflanzenwelt bildet zunächst nur rudimentäre und zugleich instabile Ökosysteme des Übergangs, in denen über die Zukunft des Lebens nach dem Artenschwund entschieden wird.
Die Entwicklung eines Ökosystems hängt von äußeren und inneren Faktoren ab; in der Bildersprache von Evolutionsbiologen sind das der »Hofnarr« und die »Rote Königin«. Unter Normalbedingungen stellen Ökosysteme stabile Netzwerke dar, die sich nur auf Grund äußerer Einflüsse wie klimatischen Veränderungen wandeln – sozusagen wegen den Launen eines Hofnarren. Nach einem Massenaussterben aber herrscht eine Phase, die maßgeblich von inneren Faktoren bestimmt wird. Die überlebenden Organismen sind gezwungen, neu mit ihrer Umwelt zu interagieren. Letztere gestaltet also unmittelbar die Evolution mit. Umgekehrt wirken die sich schnell weiterentwickelnden Organismen auf die ökologischen Netzwerke zurück. Gewissermaßen befindet sich das System in einem permanenten Wettlauf mit sich selbst – ähnlich wie die Rote Königin in Lewis Carrolls Kinderbuch »Alice hinter den Spiegeln«, die ununterbrochen rennen muss, um auf dem gleichen Fleck zu bleiben. Dieses Wettrennen führt auch bei gleich bleibenden Umweltbedingungen dazu, dass sich die biologischen Gemeinschaften immer wieder ändern. Natürlich können aber auch innere und äußere Faktoren gleichzeitig zum Tragen kommen: Die Rote Königin rennt dann zur Musik des Hofnarren.
Dem Paläontologen Tyler Lyson vom Denver Museum of Nature & Science und seinen Kollegen verdanken wir eine detaillierte Vorstellung davon, wie die Wiederaufbauphase nach dem Ende der Kreidezeit ablief. Anhand von Fossilienfunden aus Corral Bluffs in Colorado rekonstruierten sie die letzten 100 000 Jahre der Kreidezeit und die erste Jahrmillion des Paläozäns. Die Fossilien erlauben Rückschlüsse darauf, wie die neu entstehende Pflanzenwelt eine evolutionäre Explosion der Säugetiere befeuerte – beides im Rhythmus der klimatischen Schwankungen. Auf ein von Farnen, Palmen und kleineren Wirbeltieren geprägtes Ökosystem folgte auf Grund einer globalen Erderwärmung eine blütenreiche Pflanzenphase. 300 000 Jahre nach dem Einschlag des Asteroiden verbreitete und diversifizierte sich dann die Familie der Juglandaceae, der Walnussgewächse. Die Ausbreitung dieser Pflanzen mit nährstoffreichen Samen begünstigte wiederum die Entwicklung Pflanzen fressender Säugetiere. Mit deren Auftreten änderten die Juglandaceae ihre Vermehrungsstrategie: Sie verbreiteten ihre Samen nicht mehr nur mit Hilfe des Winds, sondern auch über den Verdauungsapparat der Tiere (siehe »Wie sich Ökosysteme erholen«).
Proteinreiche Pflanzen beschleunigen die Evolution
Der wechselseitige Nutzen zwischen Pflanzen und Pflanzenfressern festigte sich während einer weiteren Warmphase und einem damit einhergehenden Evolutionsschub 700 000 Jahre nach dem Massenaussterben. Bei der fortschreitenden Diversifizierung der Pflanzen entstand eine uns sehr vertraute Familie, die der Hülsenfrüchtler oder Leguminosen. Sie sind hervorragende Proteinlieferanten und gaben deshalb der Evolution einen weiteren Schub. In der Klasse der Säugetiere konnten sich nun ungewöhnlich große Pflanzenfresser entwickeln, darunter die Arten Taeniolabis taonensis und Eoconodon coryphaeus, die um die 30 beziehungsweise fast 50 Kilogramm schwer waren. Für heutige Verhältnisse erscheint das nicht viel, in der Frühzeit des Paläozäns hingegen waren es echte Schwergewichte. Doch obwohl ab diesem Zeitpunkt der Weg der Ökosysteme mehr oder minder vorgezeichnet war, sollte es noch rund zehn Millionen Jahre dauern, bis sie wieder die Vielfalt und Komplexität der Zeit vor dem Asteroideneinschlag erreichten.
Wie der Paläontologe Richard Butler von der University of Birmingham berichtet, dauerte es nach dem Ende des Perms sogar eine Million Jahre, bevor sich die Flora neu entwickelte. Und mindestens weitere vier Millionen Jahre, bis ein Evolutionsschub sie zu neuem Reichtum führte und neben den ersten Pflanzenfressern vor allem die großen Räuber auftauchten, darunter Flug- und Dinosaurier. Erst in der Mitte der Trias erreichte die biologische Vielfalt wieder ein normales Niveau. Dass es so lange gedauert hatte, lag vor allem an der Schwere des Aussterbeereignisses: je größer der Verlust, desto länger die Erholungsphase. Darüber hinaus war die Erde geologisch und klimatisch extrem verwüstet.
Als Auslöser dafür gilt eine lang anhaltende, starke vulkanische Aktivität in Sibirien, wodurch sich Kohlenstoffdioxid und andere Gase in der Atmosphäre anreicherten. Der Treibhauseffekt ließ daraufhin die Temperatur um fast zehn Grad steigen. Für Flora und Fauna an Land war das bereits verheerend, für die Ozeane aber eine totale Katastrophe. Weite Teile des Meeresbodens verloren massiv an Sauerstoff, weil einerseits die Erwärmung die Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs verringerte und andererseits starke Regenfälle und extreme Klimaereignisse zusätzlich Nährstoffe in die Ozeane spülten, was den Sauerstoffverbrauch der sich maßlos vermehrenden Mikroorganismen steigerte. Infolgedessen starben über 90 Prozent der Meerestiere aus. Wissenschaftler rekonstruierten, dass nach dieser Phase der Sauerstoffgehalt der Meere innerhalb der nächsten Millionen Jahre mehrmals zwischen Mangel und Sättigung oszillierte. Dies war wohl die Folge starker klimatischer Schwankungen und belegt die damals höchst instabile Situation auf der Erde. Die Neubildung ökologischer Netzwerke erlitt infolgedessen immer wieder herbe Rückschläge und verlief daher entsprechend langsam.
Nichtsdestoweniger entspricht die Erholungsphase nach einem Massenaussterben niemals einem linearen Prozess. Während bei schwimmenden Meerestieren wie Ammoniten oder Conodonten (einfache Chordatiere, die äußerlich einem Aal ähneln) unverzüglich die Entwicklung neuer Spezies begann, blieb die Diversität der Tiere am Meeresboden bis in die Mitte der Trias verhältnismäßig niedrig. Für Lyson steht daher die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Diversifizierung je nach Lebensweise unterscheidet. An einem Ort wie Corral Bluffs könne man genau zurückverfolgen, wie sich das Leben im Anschluss an den Faunenschnitt am Ende der Kreidezeit neu entwickelte und entfaltete. »Allerdings wäre ich sehr überrascht, wenn man das eins zu eins auf den Rest der Welt übertragen könnte«, meint Lyson. Stattdessen vermutet er, dass sich die Abläufe sehr unterscheiden, je nachdem, wie nah oder fern ein Ort dem Zentrum der Katastrophe liegt.
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Der Begriff »Erholung« trifft den Kern der Sache außerdem nicht ganz. Denn von einem Massenaussterben erholt sich kaum etwas; vielmehr muss fast alles neu entstehen. Unsere heutige Erde unterscheidet sich von derjenigen, in der die Dinosaurier lebten, nicht nur dadurch, dass manche Tiere statt Federn nun Fell tragen. Durch Extinktionen werden nicht einfach alte durch neue Arten ersetzt, sondern ganze Ökosysteme durch Evolution neu geprägt. Nach dem Faunenschnitt am Ende des Perms folgte auf die bisherige Gemeinschaft von Meerestieren im Paläozoikum – dominiert durch die kaum beweglichen Planktonfiltrierer der Brachiopoda, Bryozoa und Crinoidea – eine agile Gemeinschaft, die hauptsächlich aus aktiven Tieren wie zum Beispiel Krebsen, Muscheln, Schnecken und Knochenfischen bestand.
2020 erschien im Fachmagazin »Science« eine breit angelegte Analyse eines Teams um Payne, welche die Beziehung zwischen Artenvielfalt und ökologischer Differenzierung der Tiere untersucht. Die Studie verglich rund 30 000 lebende mit knapp 20 000 ausgestorbenen Gattungen von Meerestieren und kam zum Schluss, dass im Lauf der Erdgeschichte diejenigen Tiergruppen ausgestorben sind, die ökologisch wenig differenziert waren. An Bedeutung gewannen dagegen Gruppen, die anpassungsfähiger waren, allerdings nicht unbedingt taxonomisch vielfältiger. Erst mit der Zeit wuchs auch ihre Artenvielfalt. Aus diesem Grund korreliert die ökologische Differenzierung stark mit der taxonomischen Vielfalt, wie sich in vielen modernen Ökosystemen beobachten lässt.
»Würden wir mit unserem heutigen Kenntnisstand in die Zeit des Ordoviziums vor 450 Millionen Jahren zurückkehren, könnten wir zumindest teilweise voraussagen, welche der Gruppen auf Grund ihrer hohen ökologischen Anpassungsfähigkeit bis heute überleben werden«, sagt Payne. Beispielsweise sei es als ausgewachsenes Meerestier wichtig gewesen, sich selbstständig fortbewegen zu können. Die damit einhergehenden abwechselnden aktiven Phasen und Ruhepausen erfordern ein entsprechendes Atmungs- und Kreislaufsystem, damit der Stoffwechsel auf sehr hohe und sehr niedrige Energieanforderungen flexibel reagieren kann. »Mit diesen Fähigkeiten stehen einem Lebewesen in einer sich rapide verändernden Welt nach einem Massenaussterben alle Optionen offen.«
Immer wieder gehen dabei Gruppen hervor, die wie in einem evolutionären Feuerwerk förmlich explodieren und in erstaunlichem Tempo neue Spezies hervorbringen. Die ganze Vielfalt der Seeigel etwa hat sich nach dem Massenaussterben des Perms aus wenigen überlebenden Gattungen entwickelt, von denen wir gesichert nur eine einzige kennen, genannt Eotiaris. Und nach dem Asteroideneinschlag bei Chicxulub haben nicht nur die Säugetiere, sondern auch die Vögel den größten Teil der uns heute bekannten Ordnungen höchstwahrscheinlich in weniger als einer Million Jahre ausgebildet. Der auf Wirbeltiere spezialisierte Paläontologe Daniel Field von der University of Cambridge geht davon aus, dass wir wegen dieser hohen Geschwindigkeit ihren Stammbaum gar nicht mehr genau zurückverfolgen können. Es scheint daher nur so, als würden alle Entwicklungszweige von ein und demselben Punkt ausgehen.
Weshalb manche Tiergruppen besser in der Lage sind als andere, innerhalb kurzer Zeit neue Spezies hervorzubringen, ist noch offen. Von den großen Gruppen der terrestrischen Wirbeltiere, die das Ende der Kreidezeit überlebten, waren es neben den Vögeln die Säugetiere, die sich explosionsartig ausbreiteten und weite Teile des Lebensraums und der Lebensformen besetzten. Auch die Schuppenkriechtiere, die nicht minder hart getroffen waren, weisen heute einen großen Reichtum von über 9000 Arten auf im Vergleich zu 7000 Säugetierarten. Sie begrenzten ihren Lebensraum jedoch weitgehend auf die schon zuvor von ihnen besetzten Nischen. Genauso wie die Vögel, die zwar mehr Spezies als die Säugetiere zählen, aber in ihren ökologischen Strategien weniger breit aufgestellt sind.
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Vor rund 10 000 Jahren begann die Megafauna des Pleistozäns, zu der die damals größten Landtiere wie Mammuts und Säbelzahntiger in Eurasien, Nord- und Südamerika sowie Australien zählten, langsam zu verschwinden. Dies war der erste ökologische Wandel, den Menschen zumindest teilweise zu verantworten hatten. Indem unsere Vorfahren die Tiere ausrotteten, reduzierten sie maßgeblich die Verbreitung von Pflanzensamen und veränderten so den Nährstoffkreislauf der verschiedenen Ökosysteme. Dadurch kam es zu einem ökologischen Umbruch, der mit einem Klimawandel zu vergleichen ist. Die so genannte Mammutsteppe, das am weitesten verbreitete Ökosystem der letzten Eiszeit, existiert heute nicht mehr. Sie wurde zur Tundra, weil die großen Pflanzenfresser fehlten, die diese Form der Steppe aufrechterhielten.
Bestimmte Aussterbedynamiken, die wir heute beobachten, ähneln denjenigen früherer Wellen. Beispielsweise ist der Bestand von Arten, die nur in geografisch begrenzten Gebieten vorkommen, etwa auf Inseln, vergleichsweise stärker gefährdet. Einmal mehr bestätigt sich somit, dass Arten mit geringerer Verbreitung ein größeres Risiko tragen, unterzugehen. In Kombination mit einer hohen Durchmischung der Spezies als Folge der hohen Mobilität des Menschen wird dies dazu führen, dass sich Ökosysteme künftig angleichen. Eine solche Entwicklung gab es bereits bei früheren Aussterbewellen. Die anhaltende, menschengemachte globale Erwärmung erinnert außerdem an die Erwärmung am Ende des Perms oder auch der Trias. Und wie damals verschiebt sich bereits die Verbreitung der Spezies weg vom Äquator hin zu den Polen. Gleichwohl ist die sechste Extinktion absolut einzigartig, weil sie von der Ausbeutung des Planeten durch eine hoch technisierte Spezies herrührt. Nie hat es etwas Vergleichbares gegeben; die Hälfte des Landbodens, Wüsten und Gletscher ausgenommen, nutzen wir für den Ackerbau oder als Weideland und greifen dadurch wesentlich in die natürlichen Ökosysteme ein.
Eine Katastrophenart dominiert die Erde: Der Homo sapiens
Eine 2016 in »Science« erschienene Untersuchung zeigt, dass unter den vergangenen Aussterbewellen in den Meeren vor allem kleine Tiere gelitten haben, die im uferfernen Freiwasserbereich, dem Pelagial, lebten und sich wenig bewegten. Die aktuelle Krise trifft hingegen eher die großen, mobilen Spezies und macht keinen Unterschied zwischen pelagischen Arten und jenen, die den Meeresgrund besiedeln. Daher gehen etwa Korallenriffe nicht nur zurück, sondern verändern auch ihre Artenzusammensetzung.
Laut einer Hochrechnung aus »Nature Communication« von 2019 werden immer weniger ökologische Strategien von Vögeln und Säugetieren künftig funktionieren. Gute Überlebenschancen haben offenbar kleinere, fortpflanzungsstarke Arten, die Insekten- oder Allesfresser sind. Das könnte dem Forschungsbericht zufolge zu einer Kettenreaktion führen: Die Zunahme der Insektenfresser bedroht dann die ohnehin unter Druck stehenden Kerbtiere.
Vieles deutet also darauf hin, dass sich Flora und Fauna unseres Zeitalters in rasendem Tempo den Merkmalen früherer Aussterbewellen nähern: Die Ökosysteme werden zunehmend von einer Disaster Taxon dominiert. Dementsprechend trifft die Bezeichnung Anthropozän für das momentane, maßgeblich vom Menschen beeinflusste Erdzeitalter zu.
Wer wird das sechste Massenaussterben überleben?
Dass Ökosysteme nach einem Massenaussterben sowohl hinsichtlich der Artenvielfalt als auch der Biomasse auf lange Zeit sehr reduziert bleiben, können sich Forscher wie Payne aber immer noch nicht ganz erklären: »Es handelt sich um eine riesige Veränderung in der Funktionsweise der Ökosysteme, die wir nicht verstehen«, gibt er zu. »Denn wenn es Nährstoffe gibt, muss auch Fotosynthese stattfinden. Und wenn Fotosynthese stattfindet, gibt es auch Nahrung für Tiere. Entsprechend müsste die Anzahl der Tiere, zumal bei wenigen Prädatoren, exponentiell steigen.« Er findet es beunruhigend, dass die Biomasse nach einem Massenaussterben für derart lange Zeit auf geringem Niveau verharrt. »Wenn es das ureigene Prinzip von Ökosystemen mit geringer Biodiversität ist, dass sie nach einer Extinktion auch eine geringe Quantität an Biomasse mit sich bringen, wäre das, was wir unserem Planeten antun, von immensem Schaden«, meint Payne. Dann würden wir nicht nur die Anzahl der Arten reduzieren, sondern auch die schiere Menge des Lebens auf der Erde insgesamt.
Der Paläontologe Richard Twitchett vom Natural History Museum in London geht davon aus, dass die Erforschung der Vorgänge bei dem Faunenschnitt am Ende der Trias vor etwa 200 Millionen Jahren wertvolle Erkenntnisse liefern könnte. Diese dritte große Extinktion der letzten 300 Millionen Jahre ist etwas weniger bekannt als die anderen Aussterbewellen. Und gleichzeitig ist es das einzige Massenaussterben, das auf einer rasanten Erderwärmung beruhte und das einige bis heute existierende und wichtige Organismen überlebt haben, zum Beispiel die Korallen. Zusammen mit anderen klimatischen Ereignissen vermittelt es uns einen Eindruck von dem, was wir von den Ökosystemen des Anthropozäns in Zukunft erwarten können, zum Beispiel einen deutlichen Rückgang großer Meerestiere, weil ihnen auf Grund höherer Temperaturen weniger Sauerstoff zur Verfügung steht. Die Aussterbewellen am Ende von Perm und Trias lehren uns auch, dass sich höhere CO2-Werte erst auf sehr lange Sicht wieder einpendeln – wir reden hier von hunderttausenden Jahren. Die Folgen des sechsten Massenaussterbens werden also viel länger anhalten als die Zeit, die es brauchte, um sie in Gang zu setzen.
Wenn man allerdings in Dimensionen von vielen Millionen Jahren denkt, sind die Erfahrungen der letzten Weltuntergänge beruhigend: Ist der Mensch erst einmal von der Erde verschwunden, wird diese sich früher oder später von seinem Wirken erholen. Auch wenn das Leben dann völlig anders aussehen wird als jetzt.
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Le Scienze 625, S. 26-33, 2020