Eigentlich ist es ganz leicht: Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen | Übermedien


Kolumne Wochenschau (95) |1. Februar 2021

Eigentlich ist es ganz leicht: Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen

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Es gibt eine großartige Serie auf YouTube namens „Uncomfortable Conversations with a Black Man". Unbehagliche Gespräche mit einem Schwarzen Mann.

Die Kolumne

Foto: Quirin Leppert

Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Außerdem ist sie Vortragsreisende und macht, zusammen mit Friedemann Karig, den Podcast "Piratensender Powerplay". Bei Übermedien schreibt sie seit 2018 jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.

Der Footballspieler Emmanuel Acho hat sie nach dem Tod von George Floyd ins Leben gerufen. Die Prämisse: Er, ein Schwarzer Mann, führt Gespräche mit weißen Personen über Rassismus. Den Auftakt macht der Schauspieler Matthew McConaughey: Beide sprechen über seinen blinden Fleck in Bezug auf seine Privilegien als weißer Mann. In einer anderen Folge spricht Acho mit weißen Polizisten. Er fängt das Gespräch mit den Worten „Let’s get uncomfortable" an und fragt den Beamten zu seiner Rechten, wann er das letzte Mal ein Gespräch mit einem Schwarzen Menschen geführt habe. Seine Antwort: „Um ehrlich zu sein, noch nie."

Das Bemerkenswerte an dem Format ist, dass das Unbehagen der Hebel der Konversation und der damit einhergehenden Erkenntnisprozesse ist. Ziel ist ein ernstzunehmendes Gespräch über Rassismus, das die eigenen Sprecherpositionen, die eigenen Privilegien, die eigene Blindheit in Bezug auf Rassismus anerkennt und reflektiert. Ziel ist Begreifen, nicht das bequeme Verwalten der eigenen Borniertheit. Man muss, wie der Philosoph Cornel West gefordert hat, das Tragische wahrnehmen und ihm standhalten, um einen Sinn für Ungerechtigkeit bekommen zu können – auch und vor allem für die Ungerechtigkeit, die man selber reproduziert.

So könnte man also zum Beispiel Gespräche über rassistische Sprache beginnen. Man könnte aber natürlich auch einfach fünf Nicht-Betroffene darüber quatschten lassen, die sich selbst vergewissern, dass der semantische Status Quo für sie nicht so problematisch ist, wie von Betroffenen behauptet.

Keine Experten, keine Betroffenen

Uff, diese WDR-Sendung also. Wo fangen wir an?

Die Redaktion hat schon rein handwerklich in der Zusammenstellung ihrer Gesprächsrunde zwei Fehler gemacht: Sie hat weder Experten zu dem Thema eingeladen noch eine betroffene Person oder aber eine Person, die beide Perspektiven abbilden könnte. (Betroffene sind nicht automatisch Experten, Experten nicht automatisch betroffen.)

Weder einen Soziologen, Sozialforscher, Historiker, Linguisten; irgendwen, der eine Expertise hat, die über „Aber mein Freund heißt mit Nachnamen Mohr, soll der jetzt etwa seinen Namen ändern?!" hinausgeht; noch eine Person, die der Sinti- oder Roma-Community angehört oder Schwarz ist und die feiste Selbstgenügsamkeit der anwesenden Gäste durch ihre Aussagen ins Wanken bringen könnte.

Das ist, als würde man eine Sendung über #Metoo machen und ausschließlich vier Männer einladen, um über den Sexismus in der Gesellschaft zu sprechen.

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Foto: Max Kohr/WDR

Hier manifestiert sich ein grundsätzliches Problem aller Diskurse, aber insbesondere der Gespräche über Diskriminierung: Wenn Vertreter einer Mehrheitsgesellschaft über die Bezeichnung und Behandlung Marginalisierter verhandeln, ohne diese zu Wort kommen zu lassen, dann haben die Menschen, um die es geht, nie die Möglichkeit, souverän mitbestimmen zu dürfen und eine Änderung zu bewirken. Die Ungerechtigkeiten und Verletzungen bleiben.

Diesem strukturellen Problem können marginalisierte Menschen – wenn sie nicht an den Gesprächen über sie beteiligt werden – derzeit nur durch Mehrarbeit in Form von Aufklärung entgegenwirken, die meist unbezahlt ist. Oder durch Duldungsstarre, die als stille Zustimmung gewertet wird. Oder durch Lautstärke, die ihnen als Unsachlichkeit und aus dem Diskurs disqualifizierend ausgelegt wird. So oder so, sie werden medial gefickt.

The Sunken Place

In dem atemberaubenden Film „Get Out" von Jordan Peele, gibt es – ohne zuviel zu verraten – einen Ort, an den Schwarze Menschen in einer Art außerkörperlichen Erfahrung verschwinden, um ohnmächtig dem Leben weißer Menschen zuschauen zu müssen. The Sunken Place. Wie auf einem Bildschirm sehen sie, wie sich eine Gesellschaft vor ihnen abspielt, die sich ihrer Stimmen ermächtigt und die Schwarze Personen zu unbeteiligten Zuschauern einer Wirklichkeit macht, die nicht hören möchte, was sie zu sagen haben.

The „Sunken Place"

Auf die Frage, was dieser Sunken Place genau ist, antwortete der Regisseur Jordan Peele:

„The Sunken Place means we’re marginalized. No matter how hard we scream, the system silences us."

Egal, wie laut wir schreien – das System macht uns stumm.

Wir schaffen in den Talkshows lauter Sunken Places für die einen und Happylands für die anderen. Deshalb ist es so wichtig, Betroffene in der Berichterstattung nicht dadurch noch mehr zu marginalisieren, dass man sie nicht einlädt – um überhaupt eine Fairness und, ja, Sinnhaftigkeit in den Diskursen gewährleisten zu können. Und nicht die Dynamiken der Machtstrukturen zu reproduzieren, die ihre Hegemonie allein durch eben diese Reproduktion rechtfertigen können.

Eigentlich ist es ganz leicht: Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen.

Das ist doch ein Versprechen der öffentlich-rechtlichen Sender – ein Informationsangebot für alle Menschen zu sein.

Fehlende Repräsentanz

Wir haben aber im deutschen Fernsehen (ebenso wie auf Diskussionspanels) ein wiederkehrendes Problem von Repräsentation. Es ist so frappierend, dass die „Neuen Deutschen Medienmacher*innen" 2019 die „Goldene Kartoffel für besonders unterirdische Berichterstattung" an die politischen Talkshows in ARD und ZDF verliehen: „wo Rassismus auch nur eine Meinung ist". Auch nach dem Mord an Georg Floyd fiel auf, wie schwer sich deutsche Diskussionsrunden taten, selbstverständlich Schwarze Personen einzuladen. „Spiegel", Maischberger, Lanz schafften es jeweils erst nach lauter Kritik.

Und erinnern wir uns mal kurz daran, dass der MDR 2018 vier weiße Menschen eingeladen hatte, unter anderem Frauke Petry, um die Frage zu erörtern, ob man heute noch das N-Wort sagen darf.

Tupoka Ogette, Sharon Dodua Otoo, Kübra Gümüşay, Ferda Ataman, Gianni Jovanovic, Naika Foroutan, Asal Dardan, Elisabeth Kaneza, Mohamed Amjahid, Anatol Stefanowitsch, Hadija Haruna-Oelker, Josephine Apraku, Stephan Anpalagan, Alice Hasters, René Aguigah, Aurel Mertz, Anna Dushime, Ronen Steinke, Hadnet Tesfai, Malcolm Ohanwe, Jasmina Kuhnke, Nhi Le, Tarik Tesfu, Max Czollek, Sarah Fartuun Heinze, Karamba Diaby, Minh Thu Tran, Hatice Akyün, Melina Borčak, Aminata Touré, Oğuz Yılmaz, Achan Malonda, Lin Hierse, Reyhan Şahin, Vanessa Vu, Aylin Karabulut, Oliver Polak, Esra Karakaya, Dmitrij Kapitelman, Hasnain Kazim, Sham Jaff, Ario Mirzaie … ich könnte diese Liste noch seitenweise fortführen: An kompetenten Personen, die sich auf substanzielle Art und Weise zu der Frage äußern könnten, ob man noch das Essen so nennen soll wie vor dreißig Jahren oder die Gesellschaft vielleicht nicht doch ein paar klitzekleine Emanzipations-Bewegungen in Richtung „weniger rassistisch" durchlebt hat, hätte es für diese spezielle Ausgabe „der letzten Instanz" nicht gemangelt.

Wobei es natürlich schon fast wieder unangenehm wäre, eine ganze Sendung machen zu müssen und lauter Menschen mit jahrelanger Expertise einzuladen, nur damit sie einer weißen Person geduldig auf die Frage, ob man das N-Wort noch sagen darf, antworten können: nein.

Immer noch im Schnitzelstadium

Was mich am meisten befremdet: Nach Hanau, nach Halle, nach dem Mord an George Floyd dachte ich, wir wären ein bisschen weiter. Ich dachte, wir hätten uns mehr mit den blinden Flecken auseinandergesetzt, mit den eigenen Projektionen, mit der eigenen Verdrängung, die einen für Rassismus taub macht und deswegen umso aufmerksamer horchen lassen müsste, wenn uns von Rassismus betroffene Personen davon erzählen.

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Black-Lives-Matter-Kacheln haben keine Bedeutung, wenn trotzdem darauf beharrt wird, die Schokoküsse anders nennen zu wollen, weil „es ja nicht böse gemeint ist". Nicht-Weiße Menschen erfahren täglich Benachteiligungen, Hass, symbolische und physische Gewalt aufgrund von Rassismus – und Jürgen Milski jammert über Saucen. Ich dachte, wir hätten das Schnitzelstadium inzwischen überwunden.

Denn es geht grundsätzlich darum, wie wir Sprache und Deutungshoheiten in unserer Gesellschaft und unseren Medien verhandeln: Wenn eine Mehrheitsgesellschaft sich in Gesprächsrunden über die Richtigkeit ihrer eigenen Sprache selbst vergewissert, dann ist das mediale Verwaltung gesellschaftlichen Stillstandes und Pflegen der eigenen Privilegien.

Deswegen mag ich das Wort uncomfortable im Titel von Achos Reihe so sehr, weil es ein Gefühl ausdrückt, das weiße Menschen aufgrund ihres Weißseins strukturell weniger häufig erfahren: Unbehaglichkeit. In einer weißen Mehrheitsgesellschaft ist ein Sich-normal-Fühlen als weiße Person die soziologische Werkseinstellung ihrer Lebenswirklichkeit.

Unsichtbare Ungerechtigkeiten sichtbar machen

Das ist auch der kognitive Trick jeder Form von Diskriminierung: Sie ist für eine nichtbetroffene Person nicht spürbar oder sichtbar und existiert deswegen nur als abstrakte Fiktion, als Behauptung anderer, die man aus Empathie heraus erstmal glauben muss. Oder aber durch Lächerlichmachen und joviales Wegwischen, wie in der Sendung erfolgt, verdrängen kann. Bis ein Video um die Welt geht.

Anders als es Thomas „Ich war auf einer Party als Jimi Hendrix geblackfaced und jetzt weiß ich, wie ein Schwarzer Mann sich fühlt" Gottschalk in der Sendung behauptet hat, wird es eine weiße Person nie nachempfinden können, wie es ist, ein Leben lang aufgrund der Hautfarbe schlechter behandelt zu werden.

Deswegen muss diese für eine Mehrheit unsichtbare Ungerechtigkeit sichtbar gemacht werden. Es liegt in der Verantwortung von Journalisten und Redaktionen, dafür zu sorgen.

Genervt bin ich auch

Ein interessanter Moment ist, als Janine Kunze etwas genervt von allgemeiner Sprachkritik zu sein scheint, weil „früher habe man doch auch", usw. Ich kenne dieses Genervtsein sehr gut. Ich habe dieses Genervtsein, wenn ich erklären muss, warum das N-Wort rassistisch ist; wieso das M-Wort, auch wenn es im 17. Jahrhundert in Deutschland nicht negativ konnotiert gewesen sein soll, heute ein Schimpfwort ist und ich nicht mitlachen kann, wenn mein Vater spaßeshalber so gerufen wird; weshalb das Z-Wort eine beleidigende und entmenschlichende Demütigung ist, die sich vor allem vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verbietet. Ich habe auch keine Lust auf Sprachkritik, aber solange Menschen nicht verstehen, warum sie offensichtlich notwendig ist, solange muss man sie üben.

Die amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison schrieb:

„Die Funktion, die sehr ernste Funktion des Rassismus ist die Ablenkung. Es hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Er lässt dich immer wieder erklären, warum du so bist. Jemand sagt, dass du keine Sprache habest, und du verbringst 20 Jahre damit zu beweisen, dass du sie hast. Jemand sagt, dass dein Kopf nicht richtig geformt sei, also findest du WissenschaftlerInnen, die an der Tatsache arbeiten, dass er es ist. Jemand sagt, dass du keine Kunst hast, also baggerst du das aus. Jemand sagt, dass du keine Königreiche hast, also schaufelst du das aus. Aber nichts davon ist notwendig. Es wird immer noch eine weitere Sache geben."

Das ist das Ermüdende: immer noch beweisen zu müssen, dass das Z-Wort ein Problem ist, wie es Gianni Jovanovic zum Beispiel so eindrucksvoll macht:

„Das Wort Z wurde meinen Verwandten und Menschen aus meiner Familie in der Zeit von 1939-1945 in der Haut eintätowiert und dann wurden sie vergast. „Wer sich aufklären lassen will, hört hier vielleicht mal Betroffenen und Werte Botschafter #GianniJovanoviç zu. #letzteinstanz pic.twitter.com/XryoXooa68

— Düzen Tekkal (@DuezenTekkal) January 31, 2021

Und so lange eine Kunze und ein Milski die für sie als anstrengend empfundenen Instanzen verlachen, weil sie es wagen, sich zu beschweren, wenn Menschen in der Öffentlichkeit durch Sprache gedemütigt werden, so lange müssen diese Instanzen den Milskis und Kunzes weiterhin auf den Sack gehen. Das genervte Augenrollen einer Mehrheitsgesellschaft ist der beste Beleg für die Notwendigkeit.

Sollen sich mal nicht so anstellen

Speziell das Verlachen der Problematik offenbarte in diesem Format die ganzen Baufehler dieser Runde: Ob gewollt oder ungewollt, das Lachen war performative Selbstversicherung, um das Unbehagen loszuwerden, sich selbst gerade als Antagonisten wahrzunehmen. Diese Abwertung ist eine Defensive: Das, was man gerade an sich selbst nicht leiden kann, wälzt man ab und macht daraus eine Aufforderung an die Personen, über die man lacht, gefälligst mehr Resilienz an den Tag zu legen.

Programmatisch dafür war, als Kunze erklärte, die „zwei, drei Leute" sollen sich mal nicht so anstellen, was habe sie sich schon als blonde Frau mit großen Brüsten in ihrem Leben anhören müssen. Man will „Ja eben!" in den Bildschirm rufen, „es ist nicht in Ordnung, dass du Sexismus erfahren hast, es ist nicht in Ordnung, dass du denkst, das aushalten zu müssen".

Die Lösung kann nicht sein, Rassismus für nichtig zu erklären, weil es auch Sexismus gäbe. Beides ist ungerecht. Man kann sich nicht selbst zum Maßstab der Dickhäutigkeit anderer machen, wenn andere systemisch bedingt dünnere Haut haben.

Glaubt man dem WDR, geht es in diesem Format um launige Unterhaltungen zur Nacht, in der nach Aufmerksamkeitsökonomie besetzte Gäste abendschwanger zu einem Thema diskutieren. Die Ungemütlichkeit einer Selbstreflektion ist in diesem Genre nicht angedacht. Nur gibt es Themen, die in ihrer Disposition gar nicht in diese gestalterischen Konventionen passen; Themen, die sich diese frivole Stammtischigkeit gar nicht rausnehmen dürfen; Themen, deren Protagonisten nicht den Luxus gutgelaunter Ignoranz haben.

So gesehen war die Sendung eine Negativfolie zu den „Uncomfortable Conversations" – dort nutzen die Protagonisten das Unbehagen, um aus dem Wachstumsschmerz heraus größer zu werden.

Das Format von „Die letzte Instanz" nutzt das Unbehagen, um es in anbiedernde Frustabfuhr und gefällige Verballhornung umzukehren und alle negativen Gefühle abzuwehren. So kann man mit dem Komfort, sich nicht ändern zu müssen, und roten Karten den Status Quo wahren.

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