Dürfen Religionswissenschaftlerinnen (k)einen Glauben bekennen? | Natur des Glaubens

von Michael Blume , 09. August 2013, 21:54

Bei kaum einem Thema gehen Emotionen und gegenseitige Verdächtigungen so schnell so hoch wie auf dem Feld der Religion(en) und Weltanschauung(en). Ganz egal, ob wir persönlich Atheisten, Agnostikerinnen oder religiös Gläubige sind - sobald unsere entsprechenden Überzeugungen durch wissenschaftliche Argumente herausgefordert werden, tendieren wir dazu, diese Aussagen persönlich zu nehmen - und entsprechend die Persönlichkeit des Aussagenden herab zu setzen. Die amerikanische Journalistin Laura Green vom US-Sender Fox News lieferte mit einem inzwischen "berühmt" gewordenen Interview ein abschreckendes Beispiel dafür. Statt sich mit dem Jesus-Buch des Religionssoziologen Reza Aslan auseinander zu setzen (das sie offensichtlich nicht einmal angelesen hatte), versucht sie schmerzhafte 10 Minuten lang, zu skandalisieren, dass ein Muslim (und ehemaliger Christ) es überhaupt wagen könne, ein Buch über ihn zu schreiben...

Nun: Geschadet hat Fox News Aslan damit nicht, im Gegenteil. Über Blogs und Twitter wurde der rechtsgerichtete Sender verlacht, nicht selten mit kreativem Humor a la "Hey, Shakespeare, wie kommen Sie dazu, als alter Brite ein Werk über italienische Teenager zu schreiben? #RomeoJulia". Andere wiesen darauf hin, dass christliche und atheistische Autoren ganze Buchregale etwa über Muhammad oder Buddha sowie griechische Kulte gefüllt hatten, ohne jemals nach Mekka gebetet, auf der Suche nach dem Nirwana meditiert oder einen Stier geopfert zu haben. Und Aslans Jesus-Buch schoss in die internationalen Bestsellerlisten.

Wie sollten Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler mit ihrer (Nicht-)Glaubenshaltung umgehen?
Was sich hier in aller Öffentlichkeit abspielte, war und ist auch an Universitäten immer wieder Thema. Manchmal wollen Studierende der Religionswissenschaft von Lehrenden oder auch voneinander wissen, wie sie es denn persönlich so halten mit dem (Nicht-)Glauben. Da unser Forschungsansatz nicht konfessionell gebunden ist, finden sich tatsächlich überzeugte Atheisten und Musliminnen, Agnostikerinnen und Buddhisten, Neopagane und Jüdinnen, Christinnen usw. in bunter Mischung, wobei das Interesse an Religionskritik und fernöstlicher Religiosität oft überwiegt (denn Christinnen und Christen stehen ja zunehmend um Studierende werbende, theologische Institute zur Verfügung).
Manche Lehrenden in der Religionswissenschaft weisen solche Fragen als "zu persönlich" zurück und bemühen sich, den Eindruck zu erwecken, sie ständen "über" den Dingen. Berühmt ist die Antwort eines Professors, der auf eine Frage nach seinem Bekenntnis geantwortet habe: "Wenn Sie das nie herausfinden, bin ich gut."
Andere - zu denen auch ich mich zähle - plädieren jedoch eher dafür, mit der je eigenen Haltung offen umzugehen. Denn eine völlig unbiografische und emotionslose Beschäftigung mit Religion(en) (oder überhaupt mit wissenschaftlicher Forschung) gibt es nicht - und dies zuzugeben ist unseres Erachtens kein Zeichen der Schwäche, sondern der persönlichen und wissenschaftlichen Redlichkeit.
Wissenschaft und Vielfalt
Persönlich gehe ich sogar einen Schritt weiter. Da wir alle bewusste und auch unbewusste Vorlieben, Abneigungen und "blinde Flecken" haben, ist religiöse und weltanschauliche Vielfalt meines Erachtens gerade auch in der Religionswissenschaft sogar ein Qualitätsmerkmal. Ein religiös-weltanschaulich (aber auch z.B. nach Herkunft, Geschlechtern, Milieus etc.) gemischtes Team wird sich vor allem in der Anfangsphase sicher schwerer tun (muss "sich finden"), aber potentiell solidere Ergebnisse erzielen als eine monokulturelle Gruppe. Ich habe mir zum Beispiel bewusst einen bekanntermaßen entschiedenen Religionskritiker als Doktorvater gesucht, da mir klar war, dass er mich (heraus-)fordern und so ein echtes Projekt entstehen würde. Die vielen Debatte waren auch intensiv, manches Mal kosteten sie mich ganze, schon fertige Kapitel. Aber sie waren eben auch ertragreich - und diesen Moment, als er mir (als damals frisch wiedergewählten CDU-Stadtrat aus einer DDR-entflohenen Familie ) in einem Marx-Engels-T-Shirt breit grinsend die Tür öffnete, werde ich auch nie vergessen. ;-)
Auch das Buch "Gott, Gene und Gehirn" habe ich bewusst gemeinsam mit dem Biologen und Philosophen Rüdiger Vaas (u.a. Beirat in der Giordano-Stiftung) geschrieben. Über manche Seite haben wir uns die Köpfe heiss debattiert und auch nicht alle Fragen lösen können; aber so entstand ein Werk, das sowohl von religiösen wie von religionskritischen Lesenden aufgegriffen wurde und drei Auflagen erreicht hat.
Gott, Gene und Gehirn (GGG) von Rüdiger Vaas & Michael Blume
Ging wohl nur zusammen: "Gott, Gene und Gehirn" , Hirzel, 3. Auflage 2012
Schließlich sehe ich auch das Bloggen als eine Möglichkeit, immer wieder durch Fragen, Hinweise und auch Einwände überrascht und auf neue Wege gesetzt zu werden. Das macht nicht immer in jedem Moment Spass - aber es trainiert und vertieft.
Ganz egal, welche religiösen oder weltanschaulichen Prägungen wir auch bewusst und unbewusst ausgeprägt haben - wir werden uns instinktiv immer leichter mit Menschen tun, die diese bestätigen. Und wir werden ebenso unausweichlich dazu tendieren, jenen böse Absichten zu unterstellen, die unsere innersten Überzeugungen in Frage stellen. Ein wenig Fox News steckt gerade auch in all denjenigen von uns, die sich für besonders abgeklärt halten. Das ist Teil unseres Menschseins, aber wir können psychologisch und strukturell lernen, damit umzugehen. Ich glaube: Vielfalt ist auch emotional anstrengend - aber menschlich spannender und wissenschaftlich ertragreicher als Einfalt. Und möglicherweise gilt dies ja nicht nur für die Religionswissenschaft... ;-)
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