Doku über den Mord an slowakischem Ringier-Journalisten
Published by The Internett,
«Jetzt sind sie sogar bereit zu töten.» Der Mord an einem slowakischen Ringier-Journalisten offenbarte einen Mafiastaat mitten in Europa – und löste ein politisches Erdbeben aus
Der Dokumentarfilm «The Killing of a Journalist» rollt den Fall des ermordeten Investigativ-Journalisten Ján Kuciak auf. Das ist True Crime und Politthriller in einem.
Der damalige slowakische Premierminister Róbert Fico versucht die Flucht nach vorn und verspricht eine Million Euro für die Klärung des Mords an Ján Kuciak.
Im Februar 2018 wurden der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová ermordet. Sie lebten in Veľká Mača, einer Gemeinde im Westen der Slowakei mit 2500 Einwohnern. Der Mörder hatte sich eine Stunde lang in einem Schuppen im Garten versteckt. Als Kuciak und Kušnírová an dem Abend nach Hause kamen, betrat er durch den Hintereingang das Haus und erschoss erst ihn, dann sie.
Vier Tage später wurden die Leichen gefunden. Jene von Ján Kuciak auf der Treppe zum Keller. Seine Verlobte lag in der Küche, den Kopf in einer Blutlache. Auf dem Küchentisch standen noch Tee und Kaffee, ebenso zwei Laptops. Das Browser-Fenster auf Martina Kušnírovás Laptop war offen. Sie hatte nach Brautkleidern gegoogelt.
Alles sei für die Hochzeit vorbereitet gewesen, sagt Ján Kuciaks Vater. Er sitzt zusammen mit seiner Frau auf einer Bank, sie hält schweigend seine Hand. «Doch statt einer Hochzeit hatten wir dann eine Beerdigung.»
Der Dokumentarfilm heisst «The Killing of a Journalist», davon handelt er auch: von der Ermordung eines Journalisten. Und dem politischen Erdbeben, das folgte. Aber es war nicht nur ein Mord, es war ein Doppelmord. Der Regisseur Matt Sarnecki hat das nicht vergessen: Nicht allein ein Journalist wurde getötet. Sondern zwei Menschen, die ihr privates Glück gefunden hatten und ihre Zukunft planten. «Ich habe sie immer wieder gewarnt», sagt die Mutter von Martina Kušnírová, «seid vorsichtig.» Ján solle lieber über Sport schreiben.
Ján Kuciak war sportlich. Sein Vater dachte, dass sein Sohn vielleicht Sportjournalist würde. Doch dieser entschied sich für den investigativen Journalismus. Der Mittzwanziger arbeitete für das Newsportal aktuality.sk, das zu Ringier Axel Springer Slowakei gehört. Er legte sich mit den Mächtigen an, deckte korrupte Machenschaften auf. Die Korruption, so war er überzeugt, reichte bis an die Spitze des Staates. Ein slowakischer Soziologe, Michal Vašečka, spricht im Film von Mafia-Strukturen, die sich durch alles hindurchzögen, «das oberste Gericht, die Polizei, die Staatsanwaltschaft et cetera, et cetera».
Premier Fico beschuldigt Soros
Die Slowakei ist ein junger Staat. 1993 ging er aus der Tschechoslowakei hervor. Das Land schien ein Paradebeispiel für eine gelungene Transformationsökonomie zu sein. Zu einem «europäischen Tigerstaat» sei die Slowakei geworden, erklärt Vašečka. Der wirtschaftliche Aufschwung war bemerkenswert, 2004 folgte der Beitritt zur EU und zur Nato. «Aber das Problem war, dass hinter dem Vorhang sehr schmutzige Dinge passierten.»
Oligarchen hätten die Illusion einer liberalen Demokratie geschaffen, sagt Vašečka. Während sie gleichzeitig «langsam, aber systematisch das Land kidnappten». In der Regierung von Róbert Fico «materialisierten» sich laut Vašečka ab 2006 die mafiösen Tendenzen. Und der Mord an Ján Kuciak sei ein «breaking point» gewesen. «Jetzt sind sie sogar bereit zu töten.»
Der Mord löste landesweite Proteste aus. In Bratislava forderten 20 000 Menschen Ficos Rücktritt. Der slowakische Präsident brach öffentlich mit dem Premierminister. «Etwas Böses erschüttert die Grundfeste unseres Staates», sagte er. Fico schoss zurück, schwadronierte von einem Versuch finsterer Mächte, den Staat zu destabilisieren: «Wieso hat sich der Präsident privat in New York mit einer Person mit dem suspekten Namen Soros getroffen?», fragte er an einer Pressekonferenz unverhohlen antisemitisch auf den ungarisch-jüdischen Philanthropen George Soros anspielend. Anschliessend waren es schon 60 000 Menschen, die gegen Fico auf die Strasse gingen.
Am Platz des Slowakischen Nationalaufstandes in Bratislava wird der Ermordeten gedacht.
Ein Mafioso wie aus dem Film
Vor seiner Hinrichtung hat Ján Kuciak an einer grossen Enthüllungsgeschichte gearbeitet. Es ging um eine Verbindung von Fico zur ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia. Ein Erotikmodel spielte eine Rolle als Mittelsfrau; man hätte sich die Geschichte nicht ausdenken können. Kuciaks Liste von Feinden sei lang gewesen, sagt die Journalistin, die zusammen mit Kuciak recherchiert hat. «Eine seitenlange Excel-Tabelle.»
Kuciaks Hauptfeind war Marián Kocner. Ein Geschäftsmann mit Beziehungen in die Politik, der einem Gangsterfilm entstiegen scheint. Während die Mafiosi irgendwann angefangen hätten, «schöne Krawatten zu tragen und mit Messer und Gabel zu essen», sei sich Kocner treu geblieben, sagt der Soziologe Vašečka: Er habe sich aufgeführt, als wären es noch die neunziger Jahre, und habe ständig Leuten gedroht.
Ján Kuciak recherchierte Kocners dubiosen Geschäften hinterher. Und liess sich nicht einschüchtern. «Ich schenke dir meine besondere Aufmerksamkeit», bellt Kocner den jungen Journalisten einmal am Telefon an. «Soll das eine Drohung sein?», fragt Kuciak. Kocner antwortet nur: «Nein, wieso?»
Es spricht vieles dafür, dass Marián Kocner den Mord an Ján Kuciak und Martina Kušnírová in Auftrag gegeben hat. Der Regisseur Sarnecki hat Ermittlungsakten zusammengetragen, er spricht mit den Anwälten der Opfer, ebenso mit dem windigen Verteidiger von Marián Kocner, der von Kocners Unschuld überzeugt ist. Der Regisseur gelangte an brisantes Material, zeigt, wie der Auftragsmörder sein Geständnis abgibt.
«The Killing of a Journalist» geht aber über ein «True Crime»-Format hinaus. Von den Ermittlungen gegen den Unternehmer Kocner kommt Sarnecki zurück auf die Politik: Im hervorragend montierten Film verdichtet sich das Bild eines Staates, der bis tief in die Institutionen verfault ist. Aber dank dem Mut und der Aufsässigkeit des jungen Ján Kuciak kam ein Reformprozess in Gang. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Und die Mörder müssen wissen: Die Ermordung eines Journalisten ist nie das Ende einer Geschichte.
«The Killing of a Journalist» am Zurich Film Festival:
Dienstag, 27. 9., 21.00 Uhr; Mittwoch, 28. 9., 21.00 Uhr;
Donnerstag, 29. 9., 16.30 Uhr; Sonntag, 02. 10., 15.45 Uhr.