Das schädlichste Denk­verbot in der Klima­debatte? Das Verbot – Republik


Das schädlichste Denk­verbot in der Klima­debatte? Das Verbot

Die Rezepte der Liberalen in der Klima­politik haben zwei Probleme. Sie funktionieren nicht. Und: Sie sind nicht liberal.

Von Elia Blülle (Text) und Niklas Wesner (Illustration), 23.05.2023

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  • Herzdruck­massage, mindestens 100-mal pro Minute, bis die Rettung kommt.

Geht es um Leben und Tod, bleibt keine Zeit für lange Handlungs­anweisungen.

Einfache Regeln erlauben es, in Not schnell zu entscheiden.

Das gilt für Banken­crashs, Herz-Kreislauf-Zusammen­brüche, ins Wasser gefallene Kleinkinder – und für die Klima­katastrophe.

Es ginge simpler

Am 18. Juni stimmt die Schweiz über das Klimaschutz­gesetz ab. Die SVP bekämpft die Vorlage als einzige Partei. Ihr wichtigstes Argument: Das Gesetz bedeute ein «faktisches Verbot» von fossiler Energie. Wie immer, wenn es um Klima­schutz geht, operiert die SVP dabei mit schiefen Zahlen und noch schieferen Schluss­folgerungen.

Doch im Kern liegt die Partei mit ihrem Verdacht richtig: Die Schweiz wird ihre Klimaziele nur mit Verboten erreichen – auch dann, wenn sie dem neuen Klimaschutz­gesetz zustimmen sollte (in dem gar keine Verbote stehen).

In den vergangenen dreissig Jahren haben sich Politikerinnen auf der ganzen Welt und in der Schweiz die Köpfe zerbrochen, wie sie Anreize schaffen könnten, um den fossilen Wahnsinn auszubremsen. Sie schufen Kompensations­mechanismen, einen Emissions­handel, diverse Steuern, wollten Kosten internalisieren, allen CO-Emissionen ein Preis­schild anhängen.

Theoretisch sind das geniale und vernünftige Ideen. Funktioniert haben sie nie.

Das zeigt sich exemplarisch beim Emissions­handel, dem Herzstück der europäischen Klima­politik, an den auch die Schweiz angebunden ist. Bis anhin hat er seine Wirkung verfehlt. Jetzt soll er verschärft werden.

Wobei … – wirklich? Denn ausgerechnet die energie­intensive Industrie wird weiter geschont. Es gibt eine Preisbremse, damit der steigende CO-Preis nicht zu stark auf die Heiz­rechnung durchschlägt. Sollten die Energie­preise stark steigen, wird der Emissions­handel ein Jahr später als geplant eingeführt.

Politik und Energie­märkte sind unzuverlässig. Als im letzten Jahr der russische Angriff auf die Ukraine die Kosten für fossile Energie in die Höhe trieb, intervenierten Parlamente und Regierungen in ganz Europa.

Anstatt den Markt endlich spielen zu lassen, pfiffen sie ihn zurück.

Der Emissions­handel ist ein auf dem Papier markt­wirtschaftliches, in der Praxis jedoch oft planwirtschaftliches Experiment – und sein Resultat schwankt in Abhängigkeit von Verwaltungen, Lobbys, Wahl­kämpfen und der geopolitischen Lage.

Dabei ginge es viel simpler, sicherer und vor allem deutlich unbürokratischer.

Die Lösung: Verzicht auf fossile Energie

Schwillt meine Zunge aufs Vierfache an, sobald ich Erdnüsse esse, sagt mir mein Doktor nicht, ich solle weiter Erdnüsse essen und hoffen, dass bald ein Medikament gegen die Allergie erfunden wird.

Er sagt: Hör sofort auf, du Nager! Iss keine Nüsse mehr!

Verbote sind klassische Instrumente, um Ressourcen zu schonen, die Gesundheit von Menschen zu schützen und Krisen zu verhindern. Die Schweiz hat als eines der ersten Länder den Einbau von krebs­erregendem Asbest verboten. Das FCKW-Verbot hat die Ozonschicht gerettet – und damit unzählige Menschen vor Haut­krebs und Erblindung.

Oft heisst es, die Bekämpfung der Klimakrise sei schwierig und überfordernd. Doch eigentlich trifft das nur auf die Folgen und die politische Machbarkeit zu. Denn zur Katastrophen­vermeidung gibt es eine sehr einfache, sehr offensichtliche Lösung: den Verzicht auf fossile Energie.

Wie man Feuer nicht mit Flammen­werfern bekämpft, bekämpft man Komplexität auch nicht mit Komplexität.

Absurderweise propagieren selbst konstruktive Leute bei der Klimakrise genau das.

Es herrscht die Auffassung, unser Lebensstil müsse nicht verändert werden. Nur: Seit 1990 haben wir weltweit mehr CO in die Luft verfeuert als zuvor in der gesamten Geschichte der Menschheit. Und trotz allen Anstrengungen steigen die globalen Emissionen von Jahr zu Jahr. Die bisherige Politik setzt fast kindlich auf Hoffnung. Die Hoffnung, dass eines Tages eine Wunder­technologie erfunden wird, die uns von allen Problemen erlöst.

Beispielsweise synthetisches Benzin oder Diesel. Diese sollen dereinst den Flug- und Schiffs­verkehr in die Zukunft retten. Sie sind aber leider für den Strassen­verkehr viel zu verschwenderisch und wohl noch lange unbezahlbar.

Oder die kalte Kernfusion: eine Technologie, die tatsächlich alles verändern würde, nur leider frühestens ab 2050.

Oder CO-Absaugung aus der Luft: Sie gelingt bisher nur im Experiment.

Kurz: Es sind die Hoffnungen einer pleite­gehenden Unter­nehmerin auf einen Lottogewinn.

Albert Einstein hat einmal gesagt: «Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.»

Wir haben mit den bisherigen Luft­schlössern so viel Zeit vergeudet, dass die vernünftig machbaren Massnahmen, die vor dreissig Jahren tatsächlich dafür gesorgt hätten, die Klima­krise zu verhindern, nicht mehr reichen.

Die Klimakrise ist eine Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Kurzsicht. Und nicht zuletzt eine Geschichte des Zauderns und der Furcht, getarnt als Real­politik.

Aus Furcht vor kurzfristigem Konflikt haben sich so gut wie alle Parlamente und Regierungen für So-tun-als-ob-Lösungen entschieden: ungenügende, aber komplexe Regulierung plus Ziele, an die sie selbst nicht glauben.

Die Furcht vor Einfachheit hat eine im Prinzip gut laufende Welt in eine existenzielle Bedrohung manövriert. Und diese Furcht muss weg.

Nicht jedes Verbot ist freiheits­feindlich

Wie das geht, hat jüngst die Europäische Union vorgemacht. Sie hat beschlossen, ab 2035 keine Diesel- und Benzin­autos mehr zuzulassen.

Oder Österreich: Die Regierung hat neue Öl- und Kohle­heizungen bereits ab 2020 verboten. Dann folgen die Gasheizungen. Und bis 2040 sollen gemäss dem neuesten Gesetz sämtliche fossilen Heizungen ersetzt werden.

Noch progressiver sind die nordischen Länder. In Norwegen darf man seit drei Jahren nicht mehr mit fossilen Brenn­stoffen heizen. Dänemark verbietet seit 2013 Öl- und Gasheizungen in Neubauten, seit 2016 gilt das in der Regel auch für Ölheizungen im Bestand.

In der Schweiz haben das erst einige wenige Kantone und Städte gewagt.

Die grundsätzliche Skepsis gegenüber Verboten ist verständlich. Wollen Fanatiker anderen Menschen ihre Ideologie aufzwingen, dann ist Wider­stand in einer Demokratie tatsächlich notwendig. Zum Beispiel, wenn Abtreibungen oder Queer-Literatur verboten werden wie derzeit in den USA.

In der Schweiz gibt es auch immer wieder Parteien und Politikerinnen, die schikanöse Verbote fordern und teilweise – ohne jede Dringlichkeit – befürworten: etwa das Burkaverbot oder das Stadtzürcher Verbot von Public Viewings auf öffentlichem Grund während der letzten Männer­fussball-WM.

Allerdings sind deswegen noch lange nicht alle Verbote freiheits­feindlich.

Die liberalen Vordenker John Stuart Mill und seine Partnerin Harriet Taylor Mill, die leider nie als Co-Autorin erwähnt wird, aber massgeblich am Werk beteiligt war, legten 1859 im philosophischen Essay «On Liberty» das Fundament für eine freiheitliche Rechts­ordnung. Sie schrieben: Der einzige Grund, aus dem die Menschheit individuell oder gemeinschaftlich die Handlungs­freiheit anderer einschränken darf, ist Selbstschutz.

Und was, wenn nicht die Verlangsamung der Erd­erwärmung, ist Selbstschutz?

Der Einsatz könnte tatsächlich kaum höher sein: überflutete Küsten­städte, Hungersnöte, Dürren, Milliarden­katastrophen, hitzebedingte Migration, das sechste Massen­aussterben in der Geschichte des Planeten.

Niemand schätzt neue Verbote. Sie greifen oft in Bereiche unseres Lebens ein, bei denen man sich zuvor einig war, dass der Staat da nichts zu husten hat. Kein Wunder, fühlen sie sich anfangs wie ein Überfall an.

Für viele bedeutet konsequente Klima­politik Schmerzen.

Etwa für die Enthusiasten von Benzin, Schmieröl, Motoren. Ihr Gefühl von Verlust ist echt. Und wie immer, wenn sich Menschen bedroht fühlen, ergibt es keinen Sinn, ihnen die Emotionen, die Wut, die Angst abzusprechen.

Ebenso schädlich ist es aber, sich vor der Diskussion darüber zu drücken.

In der Debatte um das neue Klimaschutzgesetz warnt die SVP vor «Verbots­kultur» und «Umerziehung». Und statt die Stink­bomben zurück­zuwerfen, zündelt FDP-Präsident Thierry Burkart erneut. Er spricht von «staatlicher Bevormundung», fordert «Eigen­verantwortung» und hält den üblichen Vortrag, dass der «Ruf nach Staat» das «liberale Fundament» untergrabe.

So läuft die liberal­konservative Debatte zum Klima: Statt über Lösungen in der Praxis redet man über Prinzipien.

Statt Vorschlägen kommen Phrasen. Eigen­verantwortung gut. Verbote schlecht.

Tatsächlich ist das schädlichste Denkverbot in der Klima­politik das Verbot.

Dabei gäbe es interessante Fragen: Welche Verbote haben Wirkung zum Selbst­schutz? Welche sind nur symbolisch, also schikanös? In welche Kategorie gehören Privat­flüge oder Super­jachten? Wie sieht es mit Feuer­werken aus, die rot-grüne Parteien aus der Stadt Zürich verbannen möchten? Wie sähen liberal gedachte Verbote aus?

Verbote schaffen Klarheit und Sicherheit

Es wäre naiv, zu glauben, die Klimakrise lasse sich ausschliesslich mit Verboten bewältigen.

Aber Verbote sind auch kein untaugliches Mittel.

Sie sind gerecht, weil sie für alle gelten. Und sie schaffen Klarheit. Und damit Sicherheit. Und strangulieren die Unternehmen und Haushalte oftmals weniger als komplexe Regulierungen und Anreiz­systeme.

Die klugen Liberalen wussten das immer. Darum sagt zum Beispiel auch die Volks­wirtin Monika Bütler in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag», Verbote seien besser als ihr Ruf, weil sie oft «einfacher und effizienter» seien.

Als der Bundesrat 2020 lediglich empfahl, im öffentlichen Verkehr bitte eine Maske zu tragen, taten das nur wenige. Dann kam die Pflicht, und schon am ersten Morgen trugen fast alle Masken. Wenn kollektives Handeln gefragt ist, braucht die Bevölkerung klare und deutliche Ansagen. Und gerade weil Gebote und Verbote nicht verhandelbar sind, wirken sie. Sie würden den luftigen Netto-null-Zielen die nötige Ernst­haftigkeit geben. Notbremsung. Bis hier und nicht weiter.

Gleichzeitig wären Verbote nicht nur ein Ende. Sondern auch ein Anfang.

Unternehmen beklagen zu Recht, ihnen fehle bei der gegen­wärtigen Politik die Planungs­sicherheit. Eine, die ihnen Verbote verschaffen würden. Sie setzen das Ziel, das Tempo, aber lassen die Route offen. Wie Heizungs­firmen oder Auto­garagen bis zum Tag des Inkraft­tretens des Verbots ihr Business umbauen sollen, schreibt ihnen niemand vor. Das regeln sie selbst. Es ist ihre Verantwortung.

Regeln, Gesetze, Verbote begrenzen den Markt. Seit jeher und überall. Wird er mutig geöffnet oder beschränkt, kann Neues entstehen.

Firmen und Menschen passen sich an, die Klarsichtigen werden belohnt, die Blinden bestraft. In unklaren Verhältnissen profitieren vor allem Gross­konzerne – die Anwälte, Lobbyistinnen und Papier­krieger. Gibt die Politik den Menschen genügend Sicherheit und Platz, ist für unter­nehmerische Köpfe in kurzer Zeit sehr viel möglich.

Darin liegt – bei allen Mängeln – die Genialität kapitalistischer Wirtschaft.

Will der Kapitalismus aber den Klima­bankrott abwenden, müssen seine angeblich grössten Anhängerinnen – die Liberalen – sich erinnern, dass es zwischen Politik und Freiheit nie einen prinzipiellen Wider­spruch gab.

Wie der stellvertretende Chefredaktor der «Zeit» Bernd Ulrich auf Twitter kürzlich schrieb: «Wenn der Staat uns heute nicht vorschreiben darf, wie wir heizen, dann muss er uns sehr bald vorschreiben, wann wir den Wasserhahn aufdrehen dürfen und wann nicht.»

Ohne Regeln kein Markt. Ohne Staat kein Markt. Es ist peinlich, das schreiben zu müssen. Und ebenfalls – eigentlich selbst­verständlich – gilt: Verbote sind zutiefst liberal, wenn sie verbieten, was unser aller Freiheit zerstört.

Alles andere ist liberaler Kitsch. Nein: unliberaler Kitsch.

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