Chemische Aura: Wie Menschen die Luft in Innenräumen beeinflussen | National Geographic


Chemische Aura: Wie Menschen die Luft in Innenräumen beeinflussen

Eine neue Studie offenbart: Mit ihren Körpern verändern Menschen die Chemie der Raumluft. Das unsichtbare Oxidationsfeld, das uns umgibt, könnte auch unbekannte gesundheitliche Folgen haben.

Veröffentlicht am 14. Sept. 2022, 09:22 MESZ

Der Mensch gibt über seinen Atem und seine Haut Stoffe in die Umwelt ab – und beeinflusst damit laut einer neuen Studie chemische Reaktionen in der direkten Umgebung.

Foto von Angelika / Adobe Stock

Zuhause, bei der Arbeit oder in Verkehrsmitteln: Nordamerikaner und Europäer halten sich durchschnittlich etwa 90 Prozent ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen auf. Darin bestimmen unsichtbare chemische Moleküle, die beispielsweise von Einrichtungsgegenständen oder Haushaltsaktivitäten ausgehen, die Luftqualität.

Ein Forschungsprojekt unter der Leitung des Max-Planck-Instituts fand nun heraus: Auch unsere Körper reagieren chemisch mit ihrer Außenwelt – und das mehr als bislang angenommen.

Das internationale Team aus Dänemark, den USA, der Schweiz und Deutschland spricht in seiner Studie im Magazin Science von einem sogenannten Oxidationsfeld, das sich in Innenräumen durch die Reaktion von Ozon mit Stoffen in und auf unserer Haut um uns herum bildet. Die dabei entstandenen chemischen Stoffe reagieren wiederum mit Molekülen in der direkten Umgebung – eine Erkenntnis, die laut den Forschenden bisher bei Prüfverfahren für künstlich hergestellte Stoffe wie Reinigungsmittel oder Baumaterialien außer Acht gelassen wurden.

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Natürliche Selbstreinigungskraft der Atmosphäre

Wie verschiedene Moleküle unter freiem Himmel miteinander reagieren, ist hinreichend erforscht. Die Atmosphäre ist sogar zu einem bestimmten Maß in der Lage, sich selbst zu reinigen. Das geschieht zu einem großen Teil durch die sogenannte Oxidation, also chemische Reaktionen, bei denen schwer wasserlösliche Stoffe in besser wasserlösliche Produkte umgewandelt werden. Auf diese Weise kann sich die Atmosphäre beispielsweise von giftigem Benzol oder schädlichen Treibhausgasen wie Methan „reinwaschen".

Dabei gelten Hydroxyl-Radikale (OH) als wichtigste Helfer der Atmosphäre. Dadurch, dass diese kurzlebigen Moleküle mit anderen Stoffen in der Luft in Reaktion treten, helfen sie bei deren Abbau. OH-Radikale entstehen durch ein Zusammenspiel von drei Komponenten: UV-Licht, das von der Sonne ausströmt, Wasserdampf und Ozon. In Innenräumen ist jedoch kaum UV-Licht vorhanden, ein Großteil davon wird schlichtweg durch das Fensterglas aus dem Sonnenlicht herausgefiltert. Wie entstehen dort also die OH-Radikale – und welchen Einfluss hat die Anwesenheit von Menschen?

Von eigenem Oxidationsfeld umgeben

Ziel der Studie war es, durch die Beantwortung dieser ein besseres Verständnis von der Luftqualität in geschlossenen Räumen zu erlangen. Deshalb führten Projektleiter Jonathan Williams und sein Team verschiedene Experimente durch: Während drei Versuchen hielten sich jeweils vier Personen in einer speziell klimatisierten Kammer aus Edelstahl der Technischen Universität Dänemark auf. Der Raumluft in der Kammer wurde dann Ozon beigemischt und die Veränderungen der Luftverhältnisse genauestens analysiert.

Das Ergebnis: Nach den Tests waren die Werte der OH-Radikale in der Kammer ähnlich hoch wie an einem durchschnittlichen Tag im Freien. Das liegt daran, dass selbst bei einer geringen Menge Ozon dieses mit den Ölen und Fetten unseres Hauttalgs reagiert und hohe Mengen an OH-Radikalen erzeugt – und so ein Oxidationsfeld um uns herum bildet. Wie stark sich diese Felder ausbreiten, hängt laut Nora Zannoni, Erstautorin der Studie, dann davon ab, wie gut der Innenraum belüftet und wie viel Ozon darin vorhanden ist.

Chemische Prüfverfahren müssen neu gedacht werden

Genau diese vom Menschen ausgehenden reaktionsfreudiger Stoffe reagieren dann wiederum mit anderweitigen Stoffen in der Umgebung. Dazu zählen laut der Studie beispielsweise „Oberflächen in Innenräumen, einschließlich Emissionen von Fußböden, Wänden, Möbeln und duftenden Produkten". Außerdem könne Ozon außerhalb von Labortests, also in natürlichen Umgebungen, auch mit Staubablagerungen, Hautschuppen und mit Hautausdünstungen verschmutzter Kleidung reagieren – und so ohne die direkte Anwesenheit von Menschen OH-Radikale bilden.

Das bleibt für uns Menschen laut Studie nicht ohne Folgen. „Die Oxidationsfelder wirken sich sicher auch auf die chemischen Signale aus, die wir aussenden und empfangen. Sie erklären möglicherweise auch, warum unser Geruchssinn generell empfindlicher auf Moleküle reagiert, die schneller mit OH reagieren", sagt Projektleiter Williams.

Zusätzlich haben die Erkenntnisse der Studie laut dem Forschungsteam Folgen für unser bisheriges Verständnis von chemischen Prozessen in Innenräumen. „Die Oxidationsfelder, die wir selbst erzeugen, verändern auch viele Chemikalien in unserer direkten Umgebung", sagt Williams. Die Auswirkungen jener seien für unsere Gesundheit bislang unerforscht – vor allem in Verbindung mit Tests für die Zulassung von Reinigungsmitteln oder Baumaterialien.