Bob Dylan: Der Deal seines Lebens | ZEIT ONLINE
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Bob Dylan: Der Deal seines Lebens
Der Deal seines Lebens – Seite 1
Bob Dylans Ausverkauf begann im Jahr 1965. Sagten zumindest jene Leute, die nicht darauf klarkamen, den Folkmusiker mit E-Gitarre und Rockband auf einer Bühne stehen zu sehen. Später folgten weitere vermeintliche Ausverkäufe von Dylan, etwa an die Wirtschaftsprüfer Coopers & Lybrand, an Apple, Google, IBM, Pepsi, Cadillac, Chrysler und Budweiser, an das Joghurtimperium Chobani sowie das Dessous- und Nachtmodenhaus Victoria’s Secret, wie Fanblogs eifrig dokumentieren. All die Firmen durften Songs von Dylan in ihren Werbespots verwenden, ebenso wie rund 800 Kino- und TV-Produzenten in ihren Filmen und Fernsehserien. Abseits der Musik veräußerte Dylan unzählige Gemälde und brachte seine eigene Whiskeymarke namens Heaven's Door heraus. Der Mann hat eigentlich alles verkauft, was sich verkaufen lässt.
Trotzdem sorgte der bisher größte
Ausverkauf des Musikers am Montag für besonderes Aufsehen. Dylan hat
die Verlagsrechte an seinem gesamten bisherigen Werk veräußert. 600 Songs aus sechs
Karrierejahrzehnten gehen an die Universal Music Publishing Group. Der Ableger des
französischen Vivendi-Konzerns bezahlt dafür laut New York Times geschätzt mehr als 300 Millionen Dollar. Zahlreiche
Medien berichteten übereinstimmend vom bisher umfassendsten Deal, der jemals
zwischen einem einzelnen Künstler und einem Verlagshaus abgeschlossen wurde.
Der inzwischen 79-jährige Dylan, so der allgemeine Tenor, habe den rechtlichen
und finanziellen Nachlass seiner Arbeit damit über seinen Tod hinaus regeln
wollen.
Als Inhaberin der Verlagsrechte von Dylans
Songs entscheidet Universal in Zukunft darüber, wer die Musik des Künstlers zu
welchen Zwecken verwenden darf. Tantiemen und Lizenzgebühren, die dadurch
entstehen, gehen nicht mehr an Dylan, sondern an den Konzern. Gleiches
gilt für Einnahmen, die aus Streams und Plattenverkäufen von Dylans Liedern
generiert werden. Nicht betroffen sind von dem Deal bisher unveröffentlichte
und zukünftige Dylan-Songs. Auch die Rechte an seinen Masterbändern behält der
Musiker. Ohne Zustimmung dürfte Universal deshalb etwa keine Trap-Rap-, Reggaeton-
oder Hüttengaudi-Remixes von Dylans Liedern in Auftrag geben.
Bob Dylan:
Experten bewerten den Deal als Homerun für
die neue Rechteinhaberin. Nicht nur, weil Dylans Katalog zu den prestigeträchtigsten
Besitztümern der Branche gehört. Sondern auch, weil sich alte und neue Stücke
des Künstlers ungebrochener Popularität erfreuen. Erst im Juni erreichte sein jüngstes
Album Rough and Rowdy Ways Platz eins der deutschen und britischen sowie
Platz zwei der US-amerikanischen Charts. Auch zu den bisherigen etwa 6.000
offiziell veröffentlichten Dylan-Covers dürften zahlreiche weitere hinzukommen –
ab sofort mit Umsatzbeteiligung für Universal. Ein netter Bonus obendrein: Weil
Dylan alleiniger Autor nahezu all seiner Songs ist, muss der Verlag die zukünftigen
Einnahmen nicht mit weiteren Rechteinhabern teilen.
Bob Dylan gilt natürlich zu Recht als
künstlerischer Solitär, dekoriert dazu noch mit dem Literaturnobelpreis und dem Pulitzerpreis. Doch mit dem Verkauf
seiner Publishing Rights ist er derzeit einer unter vielen Künstlerinnen und Künstlern.
Erst am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass Stevie Nicks (Fleetwood Mac)
weite Teile ihrer Verlagsrechte für geschätzte 100 Millionen Dollar an Primary
Wave Music übertragen hat. Der 2018 gegründete
Hipgnosis Songs Fund soll bereits mehr als 1,5 Milliarden Dollar für die
Verlagsrechte an der Musik von Blondie, Journey und anderen sogenannten
Legacy-Acts ausgegeben haben. Von weiteren Einkaufstouren ist auszugehen.
Das liegt einerseits daran, dass sich das
Tonträgergeschäft gerade endgültig zum Streaminggeschäft wandelt: eine Entwicklung, die
durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt und beschleunigt wurde. Während mit
dem Verkauf von Classic-Rock-Platten vielleicht noch auf Vinyl in Ausnahmefällen größere Umsätze zu machen sind, kommen die Boomer langsam auf Spotify oder Apple Music an.
Dort streamen sie nicht Billie Eilish oder Capital Bra, sondern ihre
Boomermusik – und verhelfen den Verlagsrechten von Dylan und Co. zu neuer
Attraktivität.
Lässt er sich in Dollars überhaupt aufwiegen?
In anderen Fällen scheint es weniger um
Marktkalkül als um finanzielle Notwendigkeit zu gehen. So schrieb etwa David
Crosby, ein jahrzehntelang erfolgreicher Folkmusiker und Weggefährte von Neil
Young, am Montag auf Twitter, dass er die Verlagsrechte an seiner
Musik verkauften müsse, da er in Zeiten geschlossener Konzerthallen ohne laufendes
Einkommen dastehe. "Ich habe eine Familie zu ernähren und eine Hypothek zu
bezahlen", so der Songwriter. Des Weiteren gab er an, dass seine
bisherigen Einnahmen durch Streams bei Weitem nicht ausreichten, um seine
eingebrochenen Plattenverkäufe auszugleichen.
Wer also nicht gerade in Dylans Liga
spielt, könnte durch jene Plattformen zum Verkauf seiner Verlagsrechte
gezwungen werden, die das Musikgeschäft gerade neu sortieren. So implizierte es
zumindest Crosby in seinem Statement. Ein Aspekt der Geschichte, mit dem sie
endgültig in der Sphäre des Romantischen ankommt. Denn natürlich stellt sich
die Frage, wem Dylans Lieder gehören sollten, auch auf einer Ebene, die nichts
mit Rechten und Verträgen zu tun hat. Die Songs des Künstlers haben Generationen
und deren Weltanschauungen geprägt, sie haben heutige Vorstellungen von
Popmusik miterfunden und gehören auch ohne Unicef-Plakette zum Weltkulturerbe.
Was ist dieser Umstand wert? Lässt er sich in Dollars überhaupt aufwiegen?
Macht es überhaupt einen Unterschied?
Manche Beobachterinnen und Beobachter
kommentierten Dylans Deal in den sozialen Netzwerken mit Befremden. Auch wenn
man sie darauf hinwies, dass der Musiker selbst sein künstlerisches Schaffen in der
Vergangenheit mit außerordentlicher Hartnäckigkeit etwa mit Lizenzvergaben zweitverwertet habe, grauste ihnen
bei der Vorstellung, dass in Zukunft eine Rechteverwerterin aus dem Reich des
Großkapitalismus das tun wird. Aber macht es überhaupt einen
Unterschied, ob Dylan selbst die Joghurtwerbung abnickt oder irgendein Manager
von Universal? Und kann man wegen seiner gehobenen kulturellen Bedeutung nicht auch
gehobene Sensibilität von der neuen Inhaberin seiner Verlagsrechte erwarten?
Seit jeher treffen im Pop nüchterne Geschäftsinteressen
auf solche Fragen, unzweideutige Profitbestrebungen auf komplizierte künstlerische
Ideale und esoterische Publikumsvorstellungen davon, was die Bedeutung eines
Songs oder einer Musikerin ausmacht. Manche Pophistoriker glauben sogar, dass
dieses Spannungsfeld die einzigartige Beschaffenheit der Kunstform überhaupt
erst ausmache.
Wahr ist aber auch, dass sich in aller Regel die Vertreterinnen
der Geschäftsinteressen durchsetzen. Natürlich hätte Dylan seinem Vorbild Woody Guthrie folgen und seine Songs zum Allgemeingut erklären können. Sicherlich hätte
er eine gemeinnützige Stiftung gründen und mit der Verwaltung seiner Rechte und
seines Nachlasses beauftragen können.
Stattdessen hat er sich dafür entschieden, seine persönliche Popgeschichte konsequent zu Ende zu erzählen. Irgendeinem Dylanologen wird es schon gelingen, den Verkauf der Verlagsrechte mit besonderer Bedeutung aufzuladen: ein letzter großer Stunt des ewigen Tricksers, der sein Publikum noch einmal daran erinnert, dass es Dylan nie darum ging, irgendwen oder irgendetwas anderes zu repräsentieren als sich selbst. Sollte das stimmen, wäre es vollkommen legitim. Mehr aber auch nicht.
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Tags: Okonomie, Musik, Marketing, Neoliberalismus