Bob Dylan: Der Deal seines Lebens | ZEIT ONLINE


Bob Dylan: Der Deal seines Lebens

Bob Dylan hat die Verlagsrechte an seiner Musik an einen Konzern verkauft. Es ist ein beispielhaftes Geschäft, mit dem der Künstler seine Ideale keineswegs verrät.
8. Dezember 2020, 16:05 Uhr / 89 Kommentare /
Bob Dylan, ausnahmsweise einmal lächelnd, im April 1965 © H. Thompson/​Evening Standard/​Hulton Archive/​Getty Images

Der Deal seines Lebens – Seite 1

Bob Dylans Ausverkauf begann im Jahr 1965. Sagten zumindest jene Leute, die nicht darauf klarkamen, den Folkmusiker mit E-Gitarre und Rockband auf einer Bühne stehen zu sehen. Später folgten weitere vermeintliche Ausverkäufe von Dylan, etwa an die Wirtschaftsprüfer Coopers & Lybrand, an Apple, Google, IBM, Pepsi, Cadillac, Chrysler und Budweiser, an das Joghurtimperium Chobani sowie das Dessous- und Nachtmodenhaus Victoria’s Secret, wie Fanblogs eifrig dokumentieren. All die Firmen durften Songs von Dylan in ihren Werbespots verwenden, ebenso wie rund 800 Kino- und TV-Produzenten in ihren Filmen und Fernsehserien. Abseits der Musik veräußerte Dylan unzählige Gemälde und brachte seine eigene Whiskeymarke namens Heaven's Door heraus. Der Mann hat eigentlich alles verkauft, was sich verkaufen lässt.

Trotzdem sorgte der bisher größte Ausverkauf des Musikers am Montag für besonderes Aufsehen. Dylan hat die Verlagsrechte an seinem gesamten bisherigen Werk veräußert. 600 Songs aus sechs Karrierejahrzehnten gehen an die Universal Music Publishing Group. Der Ableger des französischen Vivendi-Konzerns bezahlt dafür laut New York Times geschätzt mehr als 300 Millionen Dollar. Zahlreiche Medien berichteten übereinstimmend vom bisher umfassendsten Deal, der jemals zwischen einem einzelnen Künstler und einem Verlagshaus abgeschlossen wurde. Der inzwischen 79-jährige Dylan, so der allgemeine Tenor, habe den rechtlichen und finanziellen Nachlass seiner Arbeit damit über seinen Tod hinaus regeln wollen.

Loaded: 0%
0:00
Remaining Time -0:00
Verlagsrechte - Bob Dylan verkauft Rechte an seinem gesamtmusikalischen Werk Der Katalog des Musikers besteht aus etwa 600 Liedern. Das Musiklabel Universal Music hat laut „New York Times" mehr als 300 Millionen Dollar für die Rechte gezahlt. © Foto: Express Newspapers/Getty Images

Als Inhaberin der Verlagsrechte von Dylans Songs entscheidet Universal in Zukunft darüber, wer die Musik des Künstlers zu welchen Zwecken verwenden darf. Tantiemen und Lizenzgebühren, die dadurch entstehen, gehen nicht mehr an Dylan, sondern an den Konzern. Gleiches gilt für Einnahmen, die aus Streams und Plattenverkäufen von Dylans Liedern generiert werden. Nicht betroffen sind von dem Deal bisher unveröffentlichte und zukünftige Dylan-Songs. Auch die Rechte an seinen Masterbändern behält der Musiker. Ohne Zustimmung dürfte Universal deshalb etwa keine Trap-Rap-, Reggaeton- oder Hüttengaudi-Remixes von Dylans Liedern in Auftrag geben.

Experten bewerten den Deal als Homerun für die neue Rechteinhaberin. Nicht nur, weil Dylans Katalog zu den prestigeträchtigsten Besitztümern der Branche gehört. Sondern auch, weil sich alte und neue Stücke des Künstlers ungebrochener Popularität erfreuen. Erst im Juni erreichte sein jüngstes Album Rough and Rowdy Ways Platz eins der deutschen und britischen sowie Platz zwei der US-amerikanischen Charts. Auch zu den bisherigen etwa 6.000 offiziell veröffentlichten Dylan-Covers dürften zahlreiche weitere hinzukommen – ab sofort mit Umsatzbeteiligung für Universal. Ein netter Bonus obendrein: Weil Dylan alleiniger Autor nahezu all seiner Songs ist, muss der Verlag die zukünftigen Einnahmen nicht mit weiteren Rechteinhabern teilen.

Bob Dylan gilt natürlich zu Recht als künstlerischer Solitär, dekoriert dazu noch mit dem Literaturnobelpreis und dem Pulitzerpreis. Doch mit dem Verkauf seiner Publishing Rights ist er derzeit einer unter vielen Künstlerinnen und Künstlern. Erst am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass Stevie Nicks (Fleetwood Mac) weite Teile ihrer Verlagsrechte für geschätzte 100 Millionen Dollar an Primary Wave Music übertragen hat. Der 2018 gegründete Hipgnosis Songs Fund soll bereits mehr als 1,5 Milliarden Dollar für die Verlagsrechte an der Musik von Blondie, Journey und anderen sogenannten Legacy-Acts ausgegeben haben. Von weiteren Einkaufstouren ist auszugehen.

Das liegt einerseits daran, dass sich das Tonträgergeschäft gerade endgültig zum Streaminggeschäft wandelt: eine Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt und beschleunigt wurde. Während mit dem Verkauf von Classic-Rock-Platten vielleicht noch auf Vinyl in Ausnahmefällen größere Umsätze zu machen sind, kommen die Boomer langsam auf Spotify oder Apple Music an. Dort streamen sie nicht Billie Eilish oder Capital Bra, sondern ihre Boomermusik – und verhelfen den Verlagsrechten von Dylan und Co. zu neuer Attraktivität.

Lässt er sich in Dollars überhaupt aufwiegen?

In anderen Fällen scheint es weniger um Marktkalkül als um finanzielle Notwendigkeit zu gehen. So schrieb etwa David Crosby, ein jahrzehntelang erfolgreicher Folkmusiker und Weggefährte von Neil Young, am Montag auf Twitter, dass er die Verlagsrechte an seiner Musik verkauften müsse, da er in Zeiten geschlossener Konzerthallen ohne laufendes Einkommen dastehe. "Ich habe eine Familie zu ernähren und eine Hypothek zu bezahlen", so der Songwriter. Des Weiteren gab er an, dass seine bisherigen Einnahmen durch Streams bei Weitem nicht ausreichten, um seine eingebrochenen Plattenverkäufe auszugleichen.

Wer also nicht gerade in Dylans Liga spielt, könnte durch jene Plattformen zum Verkauf seiner Verlagsrechte gezwungen werden, die das Musikgeschäft gerade neu sortieren. So implizierte es zumindest Crosby in seinem Statement. Ein Aspekt der Geschichte, mit dem sie endgültig in der Sphäre des Romantischen ankommt. Denn natürlich stellt sich die Frage, wem Dylans Lieder gehören sollten, auch auf einer Ebene, die nichts mit Rechten und Verträgen zu tun hat. Die Songs des Künstlers haben Generationen und deren Weltanschauungen geprägt, sie haben heutige Vorstellungen von Popmusik miterfunden und gehören auch ohne Unicef-Plakette zum Weltkulturerbe. Was ist dieser Umstand wert? Lässt er sich in Dollars überhaupt aufwiegen?

Macht es überhaupt einen Unterschied?

Manche Beobachterinnen und Beobachter kommentierten Dylans Deal in den sozialen Netzwerken mit Befremden. Auch wenn man sie darauf hinwies, dass der Musiker selbst sein künstlerisches Schaffen in der Vergangenheit mit außerordentlicher Hartnäckigkeit etwa mit Lizenzvergaben zweitverwertet habe, grauste ihnen bei der Vorstellung, dass in Zukunft eine Rechteverwerterin aus dem Reich des Großkapitalismus das tun wird. Aber macht es überhaupt einen Unterschied, ob Dylan selbst die Joghurtwerbung abnickt oder irgendein Manager von Universal? Und kann man wegen seiner gehobenen kulturellen Bedeutung nicht auch gehobene Sensibilität von der neuen Inhaberin seiner Verlagsrechte erwarten?

Seit jeher treffen im Pop nüchterne Geschäftsinteressen auf solche Fragen, unzweideutige Profitbestrebungen auf komplizierte künstlerische Ideale und esoterische Publikumsvorstellungen davon, was die Bedeutung eines Songs oder einer Musikerin ausmacht. Manche Pophistoriker glauben sogar, dass dieses Spannungsfeld die einzigartige Beschaffenheit der Kunstform überhaupt erst ausmache.

Wahr ist aber auch, dass sich in aller Regel die Vertreterinnen der Geschäftsinteressen durchsetzen. Natürlich hätte Dylan seinem Vorbild Woody Guthrie folgen und seine Songs zum Allgemeingut erklären können. Sicherlich hätte er eine gemeinnützige Stiftung gründen und mit der Verwaltung seiner Rechte und seines Nachlasses beauftragen können.

Stattdessen hat er sich dafür entschieden, seine persönliche Popgeschichte konsequent zu Ende zu erzählen. Irgendeinem Dylanologen wird es schon gelingen, den Verkauf der Verlagsrechte mit besonderer Bedeutung aufzuladen: ein letzter großer Stunt des ewigen Tricksers, der sein Publikum noch einmal daran erinnert, dass es Dylan nie darum ging, irgendwen oder irgendetwas anderes zu repräsentieren als sich selbst. Sollte das stimmen, wäre es vollkommen legitim. Mehr aber auch nicht.

Seitennavigation

Startseite