Anita Engels zum Klimaschutz: "Mit freiwilligem Verzicht ist nicht zu rechnen" | ZEIT ONLINE


Anita Engels zum Klimaschutz: "Mit freiwilligem Verzicht ist nicht zu rechnen"

Bis 2050 will die Welt klimaneutral werden. Die Hamburger Soziologin Anita Engels hat untersucht, ob das realistisch ist. Ihr Fazit: Es muss noch sehr viel passieren.
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30. Juli 2021, 9:22 Uhr / 103 Kommentare /
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Anita Engels zum Klimaschutz

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Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, muss auch unpopuläre Dinge ansprechen: Etwa, dass Vielfliegerei kaum noch möglich sein wird, wenn die Menschheit bis 2050 klimaneutral sein will. © dpa picture alliance

"Mit freiwilligem Verzicht ist nicht zu rechnen" – Seite 1

Anita Engels hat gemeinsam mit anderen Forschenden untersucht, was sich alles ändern müsste, damit die Menschheit ihre Klimaziele noch erreichen kann. Ihr Fazit: 1,5 Grad sind nicht mehr realistisch, und selbst für zwei Grad müsste sehr viel passieren. Ein Gespräch über die Notwendigkeit politischen Drucks und darüber, wie die Wende doch noch gelingen könnte.

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ZEIT ONLINE: Frau Engels, in Ihrer Studie gelangen Sie zu einer deprimierenden Erkenntnis: Grundsätzlich sei die Menschheit zwar in der Lage, die Welt bis 2050 klimafreundlich zu gestalten. Aber man könne nicht davon ausgehen, dass sie es auch tun werde. Warum?

Anita Engels: Die uns derzeit vorliegenden Daten deuten stark darauf hin, dass der gesellschaftliche Wandel nicht schnell genug geschieht. Ausschließen kann man es zwar nicht. Aber es wäre unrealistisch, es zu erwarten.

Anita Engels

Anita Engels ist Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und forscht zu Globalisierung, Umwelt und Gesellschaft. Sie ist außerdem Co-Chair des Exzellenzclusters Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS). In einer aktuellen Studie hat sie gemeinsam mit Kolleginnen untersucht, welche künftigen Klimaszenarien möglich und plausibel sind.

ZEIT ONLINE: Was bedeutet das für die Klimaziele von Paris?

Engels: Nach allem, was wir derzeit wissen, ist es nicht plausibel anzunehmen, dass es noch gelingt, die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu beschränken, wie es das Pariser Abkommen empfiehlt. Zwei Grad sind zwar ein wenig realistischer. Aber auch dafür müsste sich sehr vieles verändern.

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ZEIT ONLINE: Dass wir uns sehr anstrengen müssen, um die Klimakrise abzuwenden, ist ja eigentlich bekannt. Wie unterscheidet sich Ihre Untersuchung denn von anderen bisher bekannten Veröffentlichungen zu dem Thema?

Engels: Studien wie der 1,5-Grad Bericht des Weltklimarates IPCC oder der Emissions Gap Report der Vereinten Nationen legen eher einen Schwerpunkt auf die technischen und praktischen Notwendigkeiten und auf das, was wünschenswert oder machbar wäre. Im Gegensatz dazu haben wir uns die gesellschaftlichen Prozesse angeschaut, die einen Wandel ermöglichen oder verhindern können. So analysieren wir, welche Klimazukunft plausibel ist – und welche nicht.

ZEIT ONLINE: Im Kern bedeutet Ihr Ergebnis: Wir zerstören unsere Lebensgrundlagen, obwohl wir anders handeln könnten. Wie kann das sein?

Engels: Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen. Nehmen Sie beispielsweise den persönlichen Konsum eines Menschen. Ob jemand viel oder wenig konsumiert, wird in der Regel von völlig anderen Faktoren angetrieben als von der Sorge ums Klima. Entscheidend ist unter anderem das verfügbare Einkommen. Nimmt das Einkommen zu, geben die Menschen mehr Geld aus, und damit steigen die klimaschädlichen Emissionen.

ZEIT ONLINE: Das könnte sich doch ändern, gerade wenn immer mehr Menschen die Auswirkungen der Klimakrise unmittelbar spüren. Oder wenn sie sich nach Hochwasserkatastrophen wie der von Mitte Juli besser vorstellen können, was Extremereignisse anrichten können.

Engels: Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, ob die aktuellen Wetterextreme in dieser Hinsicht etwas verändern. Bisher zeigen die empirischen Daten aus vielen Ländern aber, dass der Konsum zunimmt, wenn Menschen wohlhabender werden. Das ist ein ganz stabiler Zusammenhang. Gerade in vielen demokratisch verfassten Gesellschaften gibt es so etwas wie die Freiheit zu massenhaftem Konsum. Ihn zu reduzieren, ginge derzeit nur über freiwilligen Verzicht – und mit dem ist eben nicht zu rechnen.

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Pariser Klimaabkommen - Sind 1,5 Grad überhaupt noch zu schaffen? Um katastrophale Klimafolgen noch abzuwenden, müssen Staaten mehr tun, als sie bislang versprochen haben. Was das Pariser Klimaabkommen verlangt, im Video erklärt. © Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images, JOHN MACDOUGALL_AFP via Getty Images

Warum ist effektiver Klimaschutz so schwierig?

ZEIT ONLINE: Wieso nicht?

Engels: Die Menschen müssten ihren gewohnten Alltag sehr stark einschränken, zumindest in den wohlhabenden Industrieländern. Sie müssten beispielsweise ganz auf Flugreisen verzichten oder sie zumindest auf das absolute Minimum reduzieren, ihre Ernährung umstellen, womöglich eine kleinere Wohnung beziehen oder das Zuhause komplett energetisch sanieren. Das ist alles sehr aufwendig. Und es sind ja längst nicht alle Menschen davon überzeugt, dass so etwas wirklich nötig ist.

ZEIT ONLINE: Viel wichtiger als persönliche Einschränkungen wäre doch, dass die Wirtschaft sich grundlegend verändert. Solange die globale Energieversorgung weitestgehend auf Kohle, Öl und Gas basiert, bringt individueller Verzicht eher wenig, oder?

Engels: Natürlich hängt es nicht nur am Konsum. Der gesellschaftliche Wandel setzt sich aus vielen Faktoren zusammen, die sich auch noch gegenseitig beeinflussen. Das macht die Sache so komplex.

ZEIT ONLINE: Welche Faktoren haben Sie sich in Ihrer Studie denn noch angeschaut?

Engels: Wir haben insgesamt zehn gesellschaftliche Schlüsselfaktoren betrachtet, die einen Wandel herbeiführen könnten: Geschäftsentscheidungen von Unternehmen, Investitionsentscheidungen an den Finanzmärkten. Außerdem Konsummuster, die Produktion von Wissen, die Berichterstattung in den Medien, die Politik nationaler Regierungen, transnationale Klimaschutzinitiativen sowie den Druck, den Klimaklagen entfalten. Und dann noch die Intensität, mit der soziale Bewegungen eine ehrgeizige Klimapolitik fordern, und die Ergebnisse der UN-Klimaverhandlungen.

ZEIT ONLINE: Und was haben Sie dann mit diesen Schlüsselfaktoren gemacht?

Engels: Der erste Schritt war, aus der sozialwissenschaftlichen Literatur heraus ein Modell zu entwickeln, das abbildet, wie sich gesellschaftlicher Wandel ganz generell vollzieht. Dann haben wir für jeden Schlüsselfaktor an empirischen Daten zusammengetragen, was wir finden konnten, und geschaut: Bewegt sich dieser Faktor in die richtige Richtung?

ZEIT ONLINE: Mit welchem Ergebnis?

Engels: Die Mehrheit der Faktoren unterstützt zwar das Netto-Null-Ziel, also das Ziel, keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre zu entlassen, die nicht anderweitig ausgeglichen werden können. Aber kein einzelner verändert sich schnell genug. Nimmt man alle Faktoren zusammen, ist eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 nicht realistisch zu erwarten.

ZEIT ONLINE: Wo hakt es denn besonders?

Engels: Die UN-Klimaabkommen müssten in nationale Politik umgesetzt werden, aber noch geschieht das in viel zu geringem Ausmaß. Investoren stecken ihr Geld weiter in fossile Energien. Würden sie sich von Kohle, Öl und Gas abwenden, wäre das ein sehr wichtiger Schritt hin zu einer Dekarbonisierung der Welt. Aber wenn man sich die aktuellen Studien dazu anschaut, sieht man: Wir sind noch lange nicht an einem Punkt, wo die Geldquellen für fossile Energien versiegen. Und auch die Unternehmen verändern sich zu langsam – die Firmen wollen natürlich Gewinne machen, und der regulatorische Rahmen dafür schreibt noch nicht zwingend genug vor, dass das Klima dabei geschützt werden muss. Die Studien zeigen, dass sich ohne strengere staatliche Regeln daran wohl nichts ändern wird.

ZEIT ONLINE: Dabei stecken doch in neuen, klimafreundlichen Technologien auch Geschäftschancen?

Engels: Das mag sein, aber im Moment können wir noch keinen flächendeckenden Wandel in diese Richtung erkennen. In Deutschland beispielsweise haben Energieversorger den Kohleausstieg hinausgezögert, längere Übergangszeiten herausgeschlagen, Kompensationszahlungen ausgehandelt. Dieses Muster findet sich weltweit.

Wie die Klimawende doch noch gelingen könnte

ZEIT ONLINE: Sehen Sie auch Hoffnungsschimmer?

Engels: Klimaklagen können etwas bewirken. Das zeigt der kürzliche Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Bundesregierung gezwungen hat, ihr Klimaschutzgesetz nachzuschärfen. Oder das jüngste Urteil in den Niederlanden gegen Shell. Im Moment ist mein Eindruck, dass die Veränderung von den Gerichten ausgehen könnte – und von den sozialen Bewegungen. Ohne politischen Druck auf die Regierenden tut sich zu wenig.

Alexandra Endres

Freie Autorin für Klima und Umwelt

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ZEIT ONLINE: Immerhin hat die deutsche Regierung nun beschlossen, dass das Land statt 2050 schon 2045 klimaneutral sein soll. Dann soll Deutschland keine Treibhausgase mehr ausstoßen, die nicht anderweitig kompensiert werden.

Engels: Aber leider sagt das verschärfte Gesetz nichts darüber, wie man das neue Ziel erreichen will. Alle Beteiligten drücken sich davor, an dieser Stelle konkret zu werden. Und sobald jemand es doch versucht, fällt man über ihn oder sie her – so wie vor Kurzem in der Debatte um den Benzinpreis geschehen.

ZEIT ONLINE: Sehen Sie einen Grund dafür, dass die Politik sich so sehr sträubt?

Engels: Ich glaube, bei den Verantwortlichen ist überhaupt noch nicht so richtig angekommen, wie groß die Herausforderung ist. Dabei wird es dauern, unsere Infrastruktur klimafreundlich zu machen, egal ob in der Energieversorgung, im Verkehr oder in den Gebäuden. Wir müssen schleunigst damit anfangen. Andernfalls sind wir nicht schnell genug. Das ist in Deutschland so, aber das Muster wiederholt sich in anderen Ländern.

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Klimawandel - Was, wenn wir nichts tun? Waldbrände, Eisschmelze, Unwetter: Der Mensch spürt die Erderwärmung. Wie sieht die Zukunft aus? Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf erklärt unsere Welt mit 4 Grad mehr.

ZEIT ONLINE: Erwarten Sie, dass sich nach der Bundestagswahl etwas ändert?

Engels: Das hängt natürlich vom Ergebnis ab. Ganz egal, welche Partei als Sieger aus der Wahl hervorgeht: Für eine ernsthafte Klimapolitik wird sie ein klares Mandat brauchen.

ZEIT ONLINE: Mit klarem Mandat meinen Sie eine möglichst große Stimmenmehrheit?

Engels: Ja, weil es einfach um schwerwiegende Veränderungen geht. Die Bundestagswahl entscheidet darüber, ob Klimaschutz in Deutschland möglich sein wird. Oder ob wir eben weiter nur kleine Schritte tun, die am Ende nicht reichen werden, so wie bisher.

ZEIT ONLINE: Was müsste denn nach der Wahl ganz konkret passieren?

Engels: Es wäre verkehrt, würde ich mich jetzt auf zwei, drei einzelne Maßnahmen festlegen. Klimaschutz muss einfach in allen Politikbereichen konsequent umgesetzt werden. Der CO2-Preis ist zum Beispiel wichtig, aber er muss durch einen sozialen Ausgleich ergänzt werden. Um in die Wasserstoffwirtschaft einzusteigen, muss der Staat die neue Technologie fördern. Um die Elektromobilität flächendeckend umzusetzen, muss er die Ladesäuleninfrastruktur ausbauen. Das Steuersystem müsste so geändert werden, dass es klimafreundliches Verhalten, zum Beispiel von Unternehmen, belohnt. Subventionen für klimaschädliche Energieträger – die Pendlerpauschale, das Dienstwagenprivileg – müssten abgebaut werden.

ZEIT ONLINE: Nur einmal angenommen, ein großer Teil davon würde umgesetzt: Dann müsste Ihre Einschätzung der gesellschaftlichen Entwicklungen bis 2050 doch ganz anders ausfallen. Wie seriös ist es überhaupt, so weit in die Zukunft blicken zu wollen – und wie viel Kaffeesatzleserei steckt darin?

Sollte es eine Impfpflicht für Erwachsene geben?

Ja Nein

Engels: Gesellschaftliche Trends können sich sehr schnell verändern, das stimmt. Im kommenden Jahr kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Dann legen wir eine aktualisierte Analyse vor.

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