Mont Pèlerin Society
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Mont Pèlerin Society
Die Mont Pèlerin Society (MPS) ist ein 1947 von Friedrich von Hayek gegründeter Zusammenschluss von Akademikern, Geschäftsleuten und Journalisten, der das Ziel verfolgt, zukünftige Generationen vom Wirtschaftsliberalismus zu überzeugen.[1]
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Geschichte
Die Vereinigung wurde im April 1947 bei einem Treffen am Mont Pèlerin (bei Vevey am Genfersee, zwischen Lausanne und Montreux) in der Schweiz gegründet, zu dem Friedrich von Hayek 36 dem Liberalismus nahestehende Gelehrte – Wirtschaftswissenschaftler sowie einige Philosophen, Historiker und Politiker – eingeladen hatte. Ursprünglich hatte Hayek den Historiker Lord Acton und den politischen Philosophen Alexis de Tocqueville als Namenspatrone vorgesehen. Beide stießen jedoch wegen ihrer Verbindung zur katholischen Konfession insbesondere auf Widerstand von Frank Knight, sodass schließlich der Ort des Treffens zum Namen der Gesellschaft wurde.[2] Fünfzehn Teilnehmer dieses ersten Treffens waren bereits 1938 im Rahmen des Colloque Walter Lippmann zusammengetroffen. Hayeks Absicht war, über die Zukunft des Liberalismus nach dem Zweiten Weltkrieg zu diskutieren. Die Teilnehmer lehnten auf dem Treffen planwirtschaftliche und staatsinterventionistische Bestrebungen ab und bezeichneten eine Wiederherstellung von politischer Freiheit und freier Marktwirtschaft als unverzichtbare Voraussetzung einer nachhaltigen Zukunftssicherung.[3]
Teilnehmer der ersten Tagung (1. bis 10. April 1947) waren unter anderem Maurice Allais, Walter Eucken, Milton Friedman, Friedrich August von Hayek, Frank Knight, Fritz Machlup, Ludwig von Mises, Karl Popper, Wilhelm Röpke, George Stigler. In der Mont Pelerin Society übernahmen Albert Hunold und v. Hayek die Führung.[4]
Popper unterschied sich insofern von den anderen, als er noch vor der Gründung (und auch bei den ersten Treffen der MPS) forderte, auch einige Sozialisten mit aufzunehmen, um einer Homogenität bei den Grundannahmen unter den Mitgliedern entgegenzuwirken (Homogenität betrachtete er in seiner Philosophie als grundlegend problematisch) und um auf eine Aussöhnung zwischen Sozialisten und Liberalen hinzuwirken.[5] Seine Forderung wurde aber nicht umgesetzt. Popper blieb bei seiner humanitär orientierten statt marktorientierten Einstellung und betonte noch kurz vor seinem Tod, er halte es für Nonsens, das Prinzip freier Märkte zum Götzen zu erheben.[6]
Walter Eucken erklärte in einer Sitzung der MPS eine Währungsreform in Verbindung mit einer Freigabe der Preise zur Bedingung für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland.[7] In den 1950er und 1960er Jahren kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem amerikanischen Flügel um von Hayek, von Mises und Milton Friedman einerseits und dem deutschen Flügel andererseits. Der vornehmlich von Rüstow, Röpke und Müller-Armack repräsentierte deutsche Flügel verteidigte die Soziale Marktwirtschaft gegen die vom amerikanischen Flügel präferierte „adjektivlose" Marktwirtschaft und trat für eine aktivere Verantwortung des Staates im Rahmen einer umfassenden Sozial-, Vital- und Gesellschaftspolitik ein. Sie warfen dem amerikanischen Flügel Verrat an den eigentlichen Zielen des Neoliberalismus vor und betonten die Gefahren eines moralisch "abgestumpften und nackten Ökonomismus".[8][9] Mises schrieb Mitte der 1950er Jahre in einem Brief: "I have more and more doubts whether it is possible to cooperate with Ordo-interventionism in the Mont Pelerin Society (übersetzt: Ich habe wachsende Zweifel daran, dass es möglich ist mit dem Ordo-Interventionismus in der Mont Pelerin Society zu kooperieren)".[10] Die Auseinandersetzungen eskalierten in der Hunold-Affäre, in deren Folge Wilhelm Röpke [11] und Alexander Rüstow aus der Gesellschaft austraten. Zur gleichen Zeit radikalisierte sich das neoliberale Denken. Je weniger Staat, desto besser der Markt, lautete das Credo der jüngeren Chicagoer Schule um Milton Friedman. Auch Hayek forderte inzwischen, dass der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" durch keine staatliche Intervention gestört werden dürfe. Der Neoliberalismus wandte sich wieder dem Laissez-faire zu.[7]
Seit Gründung der MPS erhielten bislang (Stand 2014[12]) acht MPS-Mitglieder den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften: von Hayek (1974), Friedman (1976), Stigler (1982), James M. Buchanan (1986), Allais (1988), Gary Becker (1992), Ronald Coase (1991) und Vernon Smith (2002). Nur der Letztgenannte (* 1927) lebt noch.
Amerikanische Teilnehmer waren beim 'Colloque Walter Lippmann' deutlich in der Minderheit; dagegen stellten sie in der MPS von Anfang an etwa die Hälfte der Mitglieder.[13]
Organisation
Seit 1949 trifft sich die Gesellschaft (üblicherweise) einmal jährlich. Neben den Haupttagungen gibt es regionale und außerordentliche Treffen von Mitgliedern. Die Mitgliederzahl liegt heute bei über 1000[14]. Die Mont Pelerin Society hat im Gegensatz zu anderen Denkfabriken keine festen Angestellten; Publikationen liegen nicht vor.
Präsidenten
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Vernetzung
Die Zeithistoriker Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael bezeichneten 2008 die MPS zusammen mit dem Institute of Economic Affairs als den „Kern eines Netzwerks pronociert antisozialistischer und bisweilen radikal liberaler Wirtschafts- und Gesellschaftstheoretiker". Diese Denkfabriken hätten nach 1970 als „einflußreiche Agenturen zur Verbreitung der marktradikalen Freiheitsideologie Hayeks" und der ökonomischen Theorien Milton Friedmans agiert.[15] Das vom MPS-Mitglied Antony Fisher 1981 gestiftete Atlas Network umfasst nach 35 Jahren 451 „free-market organizations" in 95 Ländern.[16] D. Plehwe und B. Walpen gaben 2004 eine Liste von 93 Denkfabriken in direkter Beziehung zu MPS-Mitgliedern an, wobei unter "direkter Beziehung" verstanden wird, dass mindestens ein MPS-Mitglied in einer offiziellen Funktion tätig ist oder/und den Think-Tank (mit)gegründet hat.[17] Für den deutschsprachigen Raum nannten sie:
Deutschland
Schweiz
Österreich
Rezeption und Kritik
Der Sozialforscher Bernhard Walpen bezeichnete 1999 die Mont Pelerin Society als „ein hegemoniales Projekt". Das weitgesteckte Ziel der MPS bestehe nach Hayek darin, zur Durchsetzung des Liberalismus als dominantes Prinzip sozialer Organisation beizutragen. Hierzu sei es nötig, eine „konsequente Weltanschauung" (Hayek) des Liberalismus zu entwickeln. Detmar Doering kritisierte in der FAZ die Analyse aus Sicht eines dogmatischen Marxismus unzulänglich und unvollständig, nennt das Buch aber faktenreich.[18][19] Friedrich August von Hayek ging davon aus, dass auch in einer Demokratie politische Entscheidungen nur entfernt über Wahlen getroffen würden. Die Richtung sei durch die dominierenden intellektuellen Strömungen vorgegeben, die ihre Öffentlichkeitswirksamkeit etwa über Journalisten und Lehrer aufbauen könnten. Die Produzenten der Theorien seien die „Original Thinkers", während die „Second Hand Dealers" die Ergebnisse der Ideologieproduktion in der Gesellschaft wirksam werden lassen könnten. Die Rolle der „Second Hand Dealers" ordnete Hayek den Think-Tanks zu.[20]
Anlässlich ihrer Tagung in Prag 2012 skizzierte der Politikwissenschaftler Jürgen Nordmann[21] in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Spannbreite ihrer politischen Verortung wie folgt: „Wer außer Insidern kennt schon die Mont Pelerin Society (MPS), die die einen für den Gral der Freiheit, die anderen für das ideologische Nordkorea des globalen Kapitalismus halten?"[22]
Eine wichtige Innovation der Mont Pelerin Society war dem Politologen Dieter Plehwe zufolge der überparteiliche, aber ideologisch eindeutige und in diesem Sinne „parteiische" Think Tank.[23]
Siehe auch
- Let’s Make Money, österreichischer Dokumentarfilm (2008) (Kapitel 4)
Literatur
- Max Bank: Stunde der Neoliberalen? Politikberatung und Wirtschaftspolitik in der Ära Adenauer. Dissertation, Universität Köln 2013.
- Angus Burgin: The Great Persuasion. Reinventing Free Markets since the Depression. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 2012.
- Lea Hartung: „Half-an-idea machine" – Die Mont Pèlerin Society zwischen Gelehrten-Gesellschaft und Think Tank (PDF; 670 kB) In: Thomas Brandstetter, Claus Pias, Sebastian Vehlken (Hrsg.): Think Tanks: Die Beratung der Gesellschaft, Diaphanes, Zürich 2010, S. 87–111.
- Ronald M. Hartwell: A History of the Mont Pelerin Society. Liberty Fund Inc, Indianapolis 1995, ISBN 0-86597-136-6.
- Daniel Stedman Jones: Masters of the Universe. Hayek, Friedman, and the Birth of Neoliberal Politics. Princeton University Press, Princeton 2012.
- Philip Mirowski, Dieter Plehwe (Hrsg.): The Road from Mont Pèlerin: The Making of the Neoliberal Thought Collective. Harvard University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0-674-03318-4
- Dieter Plehwe: Internationale Vorbilder und transnationale Organisation deutscher Neoliberaler. In: Ulrich Müller, Sven Giegold, Malte Arhelger (Hrsg.): Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten die Politik beeinflussen. VSA-Verlag, Hamburg 2004, ISBN 3-89965-100-6, S. 29–40.
- Dieter Plehwe, Matthias Schmelzer: Marketing Marketization. The Power of Neoliberal Expert, Consulting, and Lobby Networks. In: Zeithistorische Forschungen 12 (2015), S. 488–499.
- Philip Plickert: Wandlungen des Neoliberalismus. Eine Studie zu Entwicklung und Ausstrahlung der „Mont Pèlerin Society". Lucius & Lucius Verlag. Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8282-0441-6.
- Matthias Schmelzer: Freiheit für Wechselkurse und Kapital. Die Ursprünge neoliberaler Währungspolitik und die Mont Pélerin Society. Metropolis-Verlag, Marburg 2010, ISBN 978-3-89518-791-9.
- Bernhard Walpen: Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pelerin Society. VSA-Verlag, Hamburg 2004, ISBN 3-89965-097-2.
Weblinks
- Übersicht über die Tagungen 1947–1998 (PDF-Datei; 749 kB)
Fußnoten
- ↑ Phillip Anthony O’Hara (Hrsg.): Encyclopedia of Political Economy. Routledge, London 2002, ISBN 978-1-134-73490-0, S. 250
- ↑ Claus Noppeney: Zwischen Chicago-Schule und Neoliberalismus. Bern/Stuttgart 1998. ISBN 3-258-05836-9, S. 64.
- ↑ Philip Mirowski: Never Let a Serious Crisis Go to Waste: How Neoliberalism Survived the Financial Meltdown, [1]
- ↑ Daniel Stedman Jones: Masters of the Universe: Hayek, Friedman, and the Birth of Neoliberal Politics, S. 40f (University Press Group 2012, ISBN 978-0-691-15157-1)
- ↑ Friedrich Kießling und Bernhard Rieger (Herausgeber), Mit dem Wandel leben: Neuorientierung und Tradition in der Bundesrepublik der 1950er und 60er Jahre, Verlag Böhlau: Köln 2011, ISBN 978-3-412-20649-9, S. 57
- ↑ Einer der Konfliktpunkte war die radikale Ablehnung von Gewerkschaften durch amerikanische Mitglieder. Auch erfreute sich die Chicagoer Schule wachsender Beliebtheit, die ökonomische und politische Machtballung viel weniger kritisch sah als die (deutschen) Ordoliberalen. siehe: Philip Mirowski, Dieter Plehwe: The Road From Mont Pelerin. 2009, ISBN 978-0-674-03318-4, S. 30
- ↑ Jörg Guido Hülsmann, Mises- The Last Knight of Liberalism. Ludwig von Mises Institute, Auburn, 2007, ISBN 978-1-933550-18-3, S. 879f.
- ↑ Plehwe/Walpen/Neunhöffer (Hrsg.): Neoliberal Hegemony: A Global Critique, Routledge, New York 2006, S. 35.
- ↑ Doering-Manteuffel/Raphael: Nach dem Boom – Perspektiven auf die Zeitgeschichte nach 1970, Göttingen, V&R, 2008, S. 32.
- ↑ Stephan Schulmeister, Von der Aufklärung zur Gegenaufklärung, in Die Presse, Wien am 30. August 2016.
- ↑ Dieter Plehwe u. Bernhard Walpen: Buena Vista Neoliberal? In: Klaus-Gerd Giesen (Hrsg.): Ideologien in der Weltpolitik, VS-Verlag, 2004, S. 49–88.
- ↑ Bernhard Walpen: Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Eine hegemoniekritische Studie zur Mont Pelerin Society, S. 112 f. Zitiert nach Klöckner 2007, S. 71.
- ↑ Dieter Plehwe und Bernhard Walpen: Wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Produktionsweisen in Neoliberalismus. In: PROKLA. Band 115, 1999, S. 203–235.
- ↑ CV
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. September 2012. (Memento vom 26. November 2013 im Internet Archive) (PDF; 2,5 MB)